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Schrebergarten statt Theaterbühne: Queeres Filmprojekt „Family of the Year“

Weil das Regisseurinnen-Paar Paula Knüpling und Marina Prados ihr Stück wegen Corona nicht fürs Theater inszenieren konnte, machten sie daraus einen Film über Familienkonflikte und queere Kinderwünsche. Im Streaming vom 28.-30. Januar.

cmd+c

Von Anja Kümmel

27.1.2021 - Vieles, was letztes Jahr in Innenräumen hätte stattfinden sollen, wurde pandemiebedingt nach draußen verlagert – so auch „Family of the Year“, die fünfte Inszenierung des Künstler_innen-Kollektivs cmd+c unter der Leitung von Paula Knüpling und Marina Prados. Mehr noch: Die beiden Regisseurinnen haben das Stück kurzerhand als Film adaptiert.

Queere Familienidylle - bis Oma spurlos verschwindet

Anstatt auf der Bühne des Berliner „Ballhaus Ost“ sehen wir das queere Mehrgenerationen-Ensemble nun also in einem charmant-verwilderten Schrebergarten am Grill stehen oder auf einem aufblasbaren Flamingo im Planschbecken treiben. So ließe sich der Sommer genießen – wäre da nicht ein Ereignis, das die Familienidylle gründlich durcheinander rüttelt: Friederike, die Großmutter der 10-jährigen Erzählerin Anja, ist spurlos verschwunden. Beim Geburtstagsessen ihres Vaters sprang sie plötzlich auf, rannte hinaus und ward seitdem nicht mehr gesehen.

Was zunächst wie eine recht simple Geschichte anmutet, verzweigt sich rasch in alle Richtungen und offenbart immer neue Twists. Allein schon der so einfache wie geniale Kunstgriff, im Film eine neugierige, selbstbewusste, manchmal auch vorlaute Zehnjährige als Regisseurin auftreten zu lassen, bietet sowohl den Filmemacherinnen als auch den Darstellenden ungeahnte Möglichkeiten, immer wieder aus ihren Rollen herauszutreten und sich wie von außen zu beobachten.

Konflikte und Familiengeheimnisse kommen zutage

In kurzen Interview-Sequenzen stellen die Beteiligten sich selbst und ihr Verhältnis zu Friederike vor; auch Video-Ausschnitte aus der Kindheit einiger Figuren werden eingeblendet. Durch diese fragmentarischen Einblicke erschließt sich allmählich die komplexe Familienstruktur: Anjas Uropa erzählt von seiner Kindheit im Zweiten Weltkrieg; ihre Tante Paula, deren Partnerin Marina und Co-Parent Ronald sprechen darüber, wie es sich anfühlt, zu dritt ein Kind großzuziehen. Friederike indes bleibt das leere Zentrum, um das alles kreist.

Erst in der Rekonstruktion der Geschehnisse und der Erinnerungen an sie kommen allerlei unausgesprochene Konflikte und Familiengeheimnisse zutage: Was etwa hat es mit ihrem rätselhaften Abschiedsbrief auf sich, der mit den Worten „Es werde die Wahrheit“ endet?

Ausgehend von Friederikes Abwesenheit wirft „Family of the Year“ existenzielle Fragen rund um Erinnerung, Identität, Geschlecht und Rollenvorbilder auf. Was ist real, was Fiktion? Wer spielt sich selbst, wer jemand anderen? Und selbst wenn man glaubt sich selbst zu spielen – wer ist man dann eigentlich?

Die Regisseurinnen sind auch im echten Leben ein Paar

Paula Knüpling (Heute oder morgen) und Marina Prados sind auch im echten Leben ein Paar, das sich auf die Suche nach alternativen Familienentwürfen begeben hat. Inwieweit die übrigen Ensemble-Mitglieder ihre authentischen Erfahrungen eingebracht haben, bleibt offen – deutlich hingegen wird die gleichberechtigte Zusammenarbeit des gesamten Teams. Mittels Perücken und Masken verwandeln sich die Figuren ineinander, nehmen wechselnde Perspektiven ein und stellen die Frage nach biologischer Elternschaft und Wahlverwandtschaft immer wieder neu.

Ganz unerwartet – auch das eine Message des Films – finden sich zuweilen queere Konstellationen in der eigenen Biografie, wiederholt sich das vormals Unsichtbare, unter anderen Vorzeichen, in der nächsten oder übernächsten Generation.

Für dieses berührende Stück Autofiktion war die Krise ein Glücksfall – das Ergebnis ist nun im Stream auf der Webseite des Ballhaus Ost zu sehen, am 28. Januar inklusive Zoom-Premierenparty, am 29. und 30. Januar (jeweils ab 20 Uhr) mit anschließendem Zoom-Gespräch. Das Zuschauen ist kostenlos, auf der Webseite gibt es einen Spenden-Link.

Family of the Year, D 2020, Regie: Paula Knüpling & Marina Prados, Dramaturgie: Leonie Jenning, mit: Celine Meral, Anja Zhang, Ronald Berger, Volker Sobottke u.a., 60 min., in deutscher Sprache mit englischen Untertiteln, 28.-30. Januar, 20 Uhr - hier online

 

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