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Sie wollte sich nicht verstecken: Trauer um die ägyptische LGBT-Aktivistin Sarah Hegazi

„Sie wurde regelrecht in den Tod getrieben“, sagt eine Vertraute über Sarah Hengazi, die sich am Samstag im kanadischen Exil das Leben nahm. Die 30-Jährige war 2017 in Kairo verhaftet und gefoltert worden, weil sie eine Regenbogenfahne geschwenkt hatte.

Facebook Sarah Hegazi (*1989-13.6.2020)

Von Sonya Winterberg

18.6.2020 - Es sind Worte des Schocks und der Trauer, die am frühen Sonntagmorgen die Freunde der jungen Ägypterin in den Sozialen Medien teilen. Kurze Zeit später bestätigt Sarahs Anwalt Khaled Al-Masry, dass sie sich am Vortag im Alter von 30 Jahren suizidiert hat. Eine ihrer engsten Vertrauten, Malak El-Kashif, sieht das anders. „Sarah wurde regelrecht in den Tod getrieben. Das war kein ‚Freitod‘“, ließ sie Freunde und Unterstützer wissen.

Noch vor drei Jahren war Sarah Hegazi eine gänzlich unbekannte junge Software-Entwicklerin, die in Kairo aufgewachsen war und in der Post-Mubarak-Ära ihr Coming-Out hatte. Sie gehörte zu jener Generation junger Ägypterinnen, die sich als politisch interessierte Frauenrechtlerin bezeichnen und selbstbewusst auch für queere Rechte eintreten. Homosexualität an sich ist in Ägypten nicht gesetzlich verboten. Die Moralwächter sind jedoch in der breiten, muslimischen Mittelschicht vertreten, die eine Verfolgung von LGBT* für gerechtfertigt hält und hierfür auch die kruden Methoden des ägyptischen Sicherheitsapparats in Kauf nimmt.

Wegen Schwenkens einer Regenbogenfahne verhaftet

Sarahs Leben änderte sich von einem Tag auf den anderen, als sie vor drei Jahren auf einem Konzert der libanesischen Gruppe Mashrou' Leila, deren Sänger Hamed Sinno offen schwul ist, voller Lebensfreude eine Regenbogenflagge in die Höhe hält. „Es war ein unglaublich glücklicher Moment“, wird sie später sagen.

Doch die Gegenreaktion der Sicherheitsbehörden hat es in sich. Im Rahmen einer Razzia werden 57 Personen, allesamt Besucher des Konzertes, verhaftet (wir berichteten). Sarah ist die einzige Frau unter ihnen. Anklagepunkte werden fabriziert, ihr wird die „Förderung sexueller Abweichungen und Ausschweifungen“ vorgeworfen.

„Wir waren stolz darauf, die Fahne hochzuhalten. Wir hatten uns im Traum nicht die Reaktion der Öffentlichkeit und des ägyptischen Staates vorstellen können. Für sie war ich eine Verbrecherin – eine, die versucht, die moralischen Grundfesten der Gesellschaft zu zerstören“, sagte Sarah später dem amerikanischen Radiosender NPR.

Nach drei Monaten Folterhaft: Flucht nach Kanada

Was folgt, ist ein grausames Martyrium in einem Folterkeller der Sicherheitsbehörden. Drei Monate verbringt sie in Untersuchungshaft, wird dabei mehrfach brutal verhört, mit Elektroschocks gequält, sexuell erniedrigt und vergewaltigt.

Als sie bis zum Verhandlungsbeginn auf Kaution freikommt, ist sie bereits eine gebrochene Frau. Sie leidet unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen, die wiederum mit einer Elektrokonvulsionstherapie behandelt werden. Unter Traumatherapeuten ist ausgerechnet diese Therapie für Folteropfer höchst umstritten.

Um der Verurteilung durch eine korrupte Justiz zu entgehen, entschließt sich Sarah schließlich zur Flucht nach Kanada. Doch auch das Leben im Exil ist nicht einfach. Kurz nach ihrer Ankunft in Nordamerika stirbt ihre Mutter an Krebs, und sie fühlt sich in ihrer Trauer, aber auch mit den Folgen ihrer Inhaftierung allein gelassen.

Sarah Hegazi wollte sich nicht verstecken

Was diesen Tod doppelt tragisch macht, ist der Mut, mit dem Sarah Hegazi ihrem Schicksal die Stirn geboten hat. In keinem der öffentlichen Verfahren gegen schwule Männer in den letzten beiden Jahrzehnten waren die Angeklagten bereit, ihre Identität preiszugeben und ihr Gesicht im Gerichtssaal zu zeigen. Zu groß waren Scham und Stigma. Sarah Hegazi wollte sich nicht verstecken – ihr freundliches, selbstbewusst wirkendes Gesicht wurde zum Symbol der Community, für die sie sich auch aus Kanada weiterhin einsetzte. Immer wieder, so berichten Freunde, habe sie andere aufgerichtet und davon abgehalten, sich etwas anzutun.

Am Ende reichte ihre Kraft jedoch nicht für das eigene Überleben. Auf Instagram veröffentlichte sie kurz vor ihrem Tod ein Bild von sich, auf einer Wiese liegend, über ihr das Himmelsblau. „Der Himmel ist schöner als die Erde. Ich will den Himmel, nicht die Erde“, schrieb sie dazu. 

 

In Berlin finden am Samstag, 20 Juni, zwei Mahnwachen für Sarah Hengazi statt:

„Sarah Hegazy: a vigil in mourning, a protest in her legacy!“ um 15 Uhr am Hermannplatz (Neukölln) und

„Vigil for Sarah Hegazi“ um 17 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz (Mitte)

 

Weiterlesen:

Ägypten: Regenbogenfahne als Verhaftungsgrund

Lesben und Schwule in Ägypten unerwünscht

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