So sieht Rechtsruck aus: Neubrandenburg verbietet Regenbogenfahne - Bürgermeister tritt zurück
Der Stadtrat in Neubrandenburg beschloss, eine Regenbogenflagge am Bahnhof zu verbieten. Danach erklärte der offen schwule Bürgermeister seinen Rücktritt. In der Stadt wird protestiert, eine Petition fordert, die Fahne wieder zu hissen.
Von Karin Schupp
15.10.2024 - Bisher wehten vor dem Bahnhof in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) drei Flaggen: das Stadtwappen, die Fahne der Hochschule und die Regenbogenfahne als Zeichen der Vielfalt, Akzeptanz und Weltoffenheit in der Stadt. Damit ist es aber wohl nicht so weit her: Die Rainbowflag wurde nach einem Beschluss des Stadtrats am 9. Oktober eingeholt.
Dem Antrag der rechtspopulistischen Wählergruppe „Stabile Bürger für Neubrandenburg“ hatten sich die AfD, Sahra Wagenknechts BSW und die Wählerbündnisse „Projekt NB“ und „Bürger für Neubrandenburg“ angeschlossen. Die Begründung für das Verbot war, dass die Fahne mehrfach gestohlen und durch Flaggen mit nationalsozialistischen Symbolen ersetzt worden war.
Oberbürgermeister Witt: „Da ist schon eine Menge passiert.“
Einen Tag später erklärte Neubrandenburgs offen schwuler Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) seinen Rücktritt zum 1. Mai 2025 - eigentlich hätte seine Amtszeit erst 2029 geendet. Einen Zusammenhang zum Stadtratsbeschluss bestätigte er nicht. „Meine Privatsphäre und die meiner Familie und Freunde haben mir immer viel bedeutet, und ich schütze sie. Daher werde ich öffentlich keine weiteren Äußerungen zum Rücktritt tätigen“, schrieb er auf Facebook.
Bei einer Veranstaltung der Körber Stiftung am letzten Freitag in Berlin ergänzte der 46-Jährige dann doch: „Da ist schon eine Menge passiert, da ist schon eine Menge Druck, die ausgeübt wird“, sagte er. „Irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo Sie merken, dass das Auswirkungen auf Ihr Umfeld hat. Also auf Ihren Ehemann, ihre Familie und ihre Freunde“. Witt, der unter anderem Schirmherr des Christopher-Street-Days war, ist seit 2015 im Amt und wurde 2022 mit 87,5 % der Stimmen wiedergewählt.
Nicht nur Vertreter:innen der Grünen, Linken und SPD in der Stadt und im Landtag zeigten sich bestürzt über, auch zwei- bis dreihundert Neubrandenburger:innen setzten am Freitag ein Zeichen: Bei einer Mahnwache vor dem Bahnhof protestierten sie gegen das Flaggenverbot – mit zahlreichen Regenbogenfahnen. Weitere Aktionen sind geplant.
Rechtsextreme Hochburg mit homofeindlichem Ratsherr
Das knapp 64.000 Einwohner zählende Neubrandenburg ist eine rechtsextreme Hochburg. In der Stadtvertretung stellt die AfD die größte Fraktion, das Wählerbündnis „Stabile Bürger“, das den Antrag stellte, wird durch einen Abgeordneten vertreten: Tim Großmüller. Der 44-Jährige ist als homophob bekannt, zuvor hatte er schon die Regenbogenbeflaggung zum CSD als „politische Agenda der Altparteien“ bezeichnet und Silvio Witt schwulenfeindlich angegriffen.
Im März 2024 wurden gegen Großmüller Ermittlungen eingeleitet. „Er steht unter Verdacht, volksverhetzende und beleidigende Posts gegenüber dem Oberbürgermeister der Stadt Neubrandenburg formuliert und veröffentlicht zu haben“, hieß es damals im Polizeibericht.
Petition und Demo gegen das Regenbogenfahnen-Verbot
Inzwischen wurde eine Petition „Für das Wiederaufhängen der Regenbogenflagge in Neubrandenburg!“ gestartet. „Gerade in einer Stadt wie Neubrandenburg, die für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben stehen sollte, ist es wichtig, diese Werte auch nach außen zu zeigen. Das Verbot der Regenbogenflagge vermittelt jedoch das falsche Signal. Statt Einheit und Zusammenhalt zu fördern, droht es, Spaltung zu begünstigen“, heißt es dort. Bis Dienstagabend hatten bereits über 10.400 Menschen unterschrieben.
Am Donnerstag wird die Demo „Neubrandenburg für queere Sichtbarkeit“ stattfinden (17. Okt, 17:30 Uhr, ab Rathaus). Zusätzlich werden die Einwohner:innen dazu aufgerufen, Regenbogenfahnen in ihre Fenster zu hängen.
Die aktuelle Ausgabe der L-MAG erhältlich am Kiosk (Kiosk-Suche), im Abo, als e-Paper und bei Readly.
L-MAG, frei und selbstbewusst!
Wir wollen unabhängig und selbstbestimmt bleiben. Zum Jahresende wenden wir uns an unsere Leser:innen: Ihr wisst am besten, warum es uns braucht und was ihr an uns schätzt. Helft uns, damit wir uns für die Zukunft wappnen können, die in politischer wie finanzieller Hinsicht nicht einfach wird.
Gute Artikel gibt es nicht umsonst!
Vielen Dank!
Euer L-MAG-Team