L-Mag

Das lesbische Portal Socialez.me ist offline

Am 9. Juli wurde socialez.me, im März mit großem Erfolg gestartet, geschlossen. Gründerin Jasmin Becker, die das Portal ehrenamtlich und mit viel Engagement betrieb, erklärt im L-MAG-Interview, weshalb sie schweren Herzens den Stecker zog.

Karin Schupp, l-mag.de, 13.7.2016

socialez.me-Gründerin Jasmin Becker spricht im L-MAG-Interview offen darüber, weshalb sie das lesbische Online-Portal vom Netz nahm. Für sie waren die letzten Monate eine arbeitsreiche Zeit mit schönen Erfahrungen und bitteren Enttäuschungen. Für uns alle bleibt die Frage, wie viel uns ein Projekt aus der Community für die Community eigentlich wert ist.

Als wir im März über den Start von socialez.me berichtet haben, war die Resonanz überwältigend positiv. Am 1. Juli gab’s sogar einen Relaunch der Webseite mit erweitertem Angebot. Wieso hat's dennoch nicht geklappt?

Wir hatten zum Start sehr große Aufmerksamkeit, gerade auch durch euren Bericht. Innerhalb der ersten Wochen konnten wir so über 1.000 Nutzerinnern generieren. Kurz vor dem Relaunch waren es dann knapp 1.300 Nutzerinnen. Bis zum 1. Juli war das Portal zu 100% kostenfrei nutzbar und wurde konstant weiterentwickelt. Es zeigte sich jedoch, dass auf der bestehenden Entwicklungs-Basis kein befriedigendes Bezahlmodell integriert werden konnte. Die monatlichen Serverkosten belaufen sich auf mehrere hundert Euro, Entwicklungskosten und Serverkosten insgesamt belaufen sich bis zum 1. Juli auf mehrere Tausend Euro, die ich aus meiner privaten Tasche gezahlt habe. Daher habe ich mich zu einem Relaunch entschlossen und socialez.me komplett neu aufgerollt und neu gebaut. Da das Feedback auf die Premiumnutzung aber negativ ausfiel, musste ich leider beschließen, das Portal einzustellen. Es ist finanziell unter diesen Voraussetzungen leider nicht mehr tragbar.

Der Relaunch des Portals hat also euer Ende besiegelt?

Ja, aufgrund technischer Gegebenheiten konnten zwar die Accounts an sich übernommen werden, allerdings mussten die Mädels beim ersten Mal ein neues Passwort anlegen, um ihr Konto auf der neuen Plattform zu aktivieren. Dies haben innerhalb der ersten Tage aber lediglich zehn Mädels getan. Darüber hinaus nutzen nur zwei von Ihnen die Premiummitgliedschaft für 2,99 Euro/ Monat, von denen knapp 50 Cent an Paypal abgehen. Die Resonanz der bisherigen Nutzer - auch, wenn wenn die sich das neue Portal nicht einmal angeschaut haben -, war dann aufgrund der „Bezahlpflicht“ eher negativ. Denn bisher war eben alles kostenfrei, und man wollte nun nicht dafür bezahlen, auch wenn ich einen sehr geringen Betrag gewählt hatte.

Seit 1. Juli gab‘s die Seite auch auf Englisch, und auch eine App war jetzt verfügbar.

Auch hier wurde gemeckert – die App sei ja gar nicht von socialez, sondern von einem Drittanbieter. Dass der Funktionsumfang aber mehr als umfangreich war und wir Monate vor dem angekündigten Release den Nutzerinnen den größten Wunsch erfüllen konnten, wurde nicht gewürdigt. Ich habe immer aktiv Feedback eingefordert, ein solches Feedback kann ich allerdings nicht verstehen, denn socialez ist ein junges Projekt, das sich konstant weiterentwickelt hat und auch in Zukunft optimiert werden sollte. Ohne eine – zumindest geringe – Bereitschaft, solche Leistungen finanziell zu unterstützen, ist dies allerdings nicht möglich.

socialez.me Jasmin Becker

Auf der Startseite steht, dass Beiträge zurückgezahlt und alle Benutzerdaten gelöscht werden. Gibt es für die Mitglieder noch eine Möglichkeit, auf ihre Infos, Kontakte etc., die sie dort hinterlegt haben, zuzugreifen?

Die Beiträge werden in den nächsten Tagen wieder bei den Nutzerinnen auf deren Paypal-Account zurückgebucht sein. Die Daten des neuen Portals werden gelöscht, da hier keine Nachrichten versendet wurden und auch keine Kontakte auf Freundeslisten hinzugefügt wurden. Die Daten des alten Portals sind noch bis Ende Juli auf archiv.socialez.me mit dem bisher verwendeten Login zu erreichen. Eine E-Mail an alle Mitglieder, mit der Bitte, die Daten kurzfristig zu sichern, wurde bereits vor dem Relaunch am 1. Juli versandt.

Wie groß war eigenlich das socialez-Team? Habt ihr alle ehrenamtlich gearbeitet?

Gestartet haben wir mit vier Personen: Eine Entwicklerin, eine Strategin, eine Social Media-Managerin und eine Fotografin. Allerdings war bereits nach wenigen Wochen nur noch ich (die Entwicklerin) aktiv und habe mich fortan alleine um alles gekümmert. Hinzu kommt, dass wir alle berufstätig sind, und das Projekt komplett ehrenamtlich neben einer 40-Stunden-Woche gelaufen ist. Noch dazu bin ich mit einer WordPress-Agentur nebenberuflich selbstständig. Das ist auf die Dauer ein immenses Arbeitspensum, das sich nur schwer aufrecht erhalten lässt. Hinzu kommen eben die Serverkosten, die ich monatlich zahlen musste, und die fehlende Anerkennung bzw. Bereitschaft der Damen, einen kleinen Beitrag zu leisten. Die Spenden, die ich vor dem Relaunch zu sammeln versucht habe, beliefen sich auf 15 Euro. Das Portal sollte nicht primär auf Profit ausgelegt sein, wir wollten der LGBTTIQ-Community eine Plattform bieten, die vor allem mit Funktionen und erstklassigem Support (Reaktionen und Änderungen innerhalb weniger Minuten waren Standard) überzeugen. Dass solche Leistungen finanziell so gut wie keine Anerkennung finden, ist doch sehr bedenklich.

Was wäre nötig, damit du socialez.me wiederauferstehen lässt? Oder ist das Thema für dich durch?

socialez.me war für mich absolut ein Projekt aus Leidenschaft, und es fällt mir sehr schwer, die Reißleine zu ziehen. Ich könnte mir schon vorstellen, es zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zu versuchen. Dazu bräuchte ich aber zunächst einen weiteren Entwickler, die finanziellen Mittel sowie ein wenig mehr Anerkennung aus der Community. Plattformen, die über die Jahre gewachsen sind, haben sicherlich mehr Stabilität, und dafür einen Monatsbetrag zu bezahlen, fällt eventuell etwas leichter. Aber eine zu 100%-funktionierende Plattform zu fordern, die „mal eben so“ von einer Einzelperson, die hauptberuflich voll ausgelastet ist, zu fordern, und dieser Plattform dann wegen Einführung einer Monatsgebühr von 2,99 Euro den Rücken zuzudrehen, ist für mich persönlich eine schwere Enttäuschung.

Welches Fazit ziehst du persönlich aus dem Projekt?

Es war eine sehr aufregende und lehrreiche Zeit für mich. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt, die sich teilweise extrem für mich und mein Projekt eingesetzt haben. Die größte Enttäuschung ist allerdings das heutige Denken der Menschen - oder ist es die Zielgruppe im Speziellen?! Das Motto „Geiz ist geil“ ist leider nicht nur beim großen deutschen Elektronik-Händler präsent, sondern zeigte sich ganz deutlich auch bei socialez. Bereits vor dem ersten Relaunch wurde nach der Höhe des angekündigten Monatspreises gefragt, noch bevor überhaupt Funktionen oder Leistungen, die dahinterstehen, bekannt waren. Das macht mich schon sehr nachdenklich und traurig.


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