"The Handmaid's Tale": Wo geht's raus aus Gilead?
In Staffel 2 von "The Handmaid's Tale" wird die Wut der Frauen, die in dem brutalen Männerregime gefangen sind, immer größer - und Gilead bekommt erste Risse. Die eindrucksvolle Serie mit zwei lesbischen Hauptfiguren steht ab heute bei Telekom Entertain.
Von Karin Schupp
2.8.2018 - Gilead ist ein Albtraum: Frauen dürfen nicht arbeiten, nicht lesen, sich nicht frei bewegen und haben nur eine Funktion: Den Männern zu dienen. Wer sich nicht an die rigiden Gesetze des christlich-fundamentalistischen Regimes hält, wird brutal bestraft oder getötet.
Wieso sollten sich Frauen eine Serie anschauen, die in einer so gruseligen dystopischen Welt spielt? Die zudem nur wenige Jahre in der Zukunft angesiedelt ist und angesichts des aktuellen Rechtsrucks und der antifeministischen Strömungen in den USA und Europa plötzlich gar nicht mehr so unrealistisch erscheint?
Die Antwort ist einfach: Der Golden Globe- und Emmy-Gewinner 2017 ist eine hervorragende Serie über ein hochbrisantes Thema, optisch eindrucksvoll, packend erzählt und mit starken Frauencharakteren und Schauspielerinnen, die für ihre Rollen auch in diesem Jahr mit Emmy-Nominierungen überschüttet wurden (K-Word #260).
Wir erfahren mehr über die anderen Charaktere
Und nachdem Staffel 1, eng angelehnt an Margaret Atwoods gleichnamigen Roman (1985), vor allem das Schicksal von Hauptfigur June (Elisabeth Moss) zeigte, entfernt sich die Serie jetzt von der Vorlage und zeigt mehr über das Land formerly know as USA, die anderen Charaktere und – das tut gut! – den Widerstand gegen die totalitären Machthaber.
Ein Blick zurück: June, die zu den offenbar wenigen fruchtbaren Frauen im Land gehört, muss Commander Fred Waterford (Joseph Fiennes) als „Magd“ dienen (daher ihr Gilead-Name "Desfred" bzw. im Englischen "Offred") und ihm ein Kind gebären. Nachdem die monatlichen Vergewaltigungen (unter dem Deckmantel einer religiös verbrämten „Zeremonie“) nicht zum Erfolg führten, wurde June - arrangiert durch Freds Frau Serena Joy (Yvonne Strahovski) - von Chauffeur und Gilead-Spion Nick (Max Minghella) schwanger. Die beiden begannen eine Affäre, und am Ende der ersten Staffel verhalf Nick June zur Flucht.
June wird selbstbewusster und aktiver, Moira ist in Sicherheit
Es ist wohl kein allzu großer Spoiler, wenn ich verrate, dass June in Folge 1 nicht auf direktem Weg über die kanadische Grenze tuckert, denn dann wäre die Serie schließlich so gut wie zu Ende. Nein, so geradlinig und einfach läuft es nicht für June, stattdessen erleben wir aber, wie sie charakterlich wächst, wütender, selbstbewusster und aktiver wird und sich - zum Teil überraschende - Verbündete sucht. Und nicht zu vergessen: Es geht ihr nicht nur um sich selbst, sondern auch um ihr ungeborenes Kind und ihre ältere Tochter Hannah, die ebenfalls in Gilead leben muss.
Ebenso ungebrochen und immer wütender ist Emily/"Ofglen" (Alexis Bledel), die mit der psychisch labilen Janine (Madeline Brewer) in die berüchtigten "Kolonien" (die wir in Folge 2 zum ersten Mal besuchen) verbannt wurde. Daneben sehen wir Junes beste Freundin Moira (Samira Wiley, Orange is the New Black), die nach ihrer gelungenen Flucht jetzt bei Junes Mann Luke (O.T. Fagbenle) lebt und von ihren traumatischen Erlebnissen verfolgt wird. Und schließlich lernen wir auch Serena Joy – neben der autoritären „Tante Lydia“ (Ann Dowd) die meistgehasste Frau der Serie – und ihre Motivation besser kennen.
Was sonst noch passiert:
* In Rückblenden tauchen Emilys Frau Sylvia, gespielt von der lesbischen Schauspielerin Clea DuVall, und Moiras – bisher unerwähnte – Lebensgefährtin Odette (Rebecca Rittenhouse) auf.
* Die lesbische Schauspielerin Cherry Jones (Transparent) ist als Junes feministische Mutter zu sehen.
* Eine diplomatischer Staatsbesuch in Kanada endet anders als geplant.
* In den Waterford-Haushalt zieht eine neue Bewohnerin: die sehr junge und sehr linientreue Eden (Sydney Sweeney).
* Und Rita (Amanda Brugel), die „Martha“ (= Haushälterin) der Waterfords, bekam eine etwas größere Rolle und gewann mit ihren trockenen Kommentaren schnell die Herzen der Fans.
Zwei Podcasts, die dabei helfen, die Serie zu verarbeiten
Allen, die mit dem Gesehenen danach nicht alleine bleiben wollen und Englisch verstehen, empfehle ich zwei humorvolle und konstruktive Podcasts zu The Handmaid's Tale (auf iTunes und Android-Podcast-Apps):
Blessed be the Fruitsalad: Die"Three Busy Ladies" alias Erin und Holly, ein Ehepaar aus Hawaii, und als "Quotenhete" Hollys Schwester Heather aus Wyoming nehmen jede Folge mit feministischem Blick auseinander und erklären nebenbei auch die (pseudo-)biblischen Symbole und Sprüche in Gilead. Außerdem muntern sie sich und uns mit den schönen Dingen der Woche auf („Balm of Gilead“) und küren ihre „Gender Traitors“: Aktivistinnen, Politikerinnen und andere Frauen, die Hoffnung machen.
Red All Over: „Aunt“ Kelly Anneken und Molly „Ofmitchell“ Sanchez aus San Francisco hört man an, dass sie nebenbei auch Comedians sind. Sie kommentieren und analysieren jede Episode temperamentvoll und gnadenlos, verlieren sich gerne mal in abseitigen Diskussionen, lieben es, passende und unpassende Lieder anzustimmen, und ziehen die Serie dabei aber nie ins Lächerliche. Interviews mit zwei Drehbuchautorinnen von The Handmaid’s Tale gibt’s auch.
The Handmaid’s Tale, USA 2018, 2. Staffel, 13 Folgen, ab 2. Aug. bei Entertain TV, dem Streamingdienst der Telekom
Achtung: Die Serie (vor allem Folge 11!) zeigt mehrere „Zeremonien“/ Vergewaltigungen!
L-MAG, frei und selbstbewusst!
Wir wollen unabhängig und selbstbestimmt bleiben. Zum Jahresende wenden wir uns an unsere Leser:innen: Ihr wisst am besten, warum es uns braucht und was ihr an uns schätzt. Helft uns, damit wir uns für die Zukunft wappnen können, die in politischer wie finanzieller Hinsicht nicht einfach wird.
Gute Artikel gibt es nicht umsonst!
Vielen Dank!
Euer L-MAG-Team