Turbine Potsdam-Star Gina Chmielinski: „Schön, wenn du anderen beim Coming Out helfen kannst“
Gina Chmielinski kickt in der Bundesliga, ist Junioren-Nationalspielerin und steht auf Frauen. Im L-MAG-Interview spricht sie über Vereine, die offen mit Homosexualität umgehen, ihr Coming Out und mit welchem Spruch man sie besser nicht anbaggern sollte.
Von Uta Zorn
5.9.2020 - Gina Chmielinski (20) ist eine selbstbewusste Frau, die ihre Meinung sagt. Gina ist Frühaufsteherin, shoppt besonders gern Sneaker. Klamotten, die ihr gefallen, näht sie sich einfach selbst. In diesem Jahr hat sie ihr Abitur gemacht, seit Juli ist sie Sportsoldatin in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Weil sie Zahlen mag, will sie ab Dezember zusätzlich Business Management studieren.
Doch das ist noch nicht alles, denn Gina gehört auch zu den besten Fußballerinnen in Deutschland. Mit drei Jahren lernte sie beim Ludwigsfelder FC das Laufen in Fußballschuhen, wechselte mit 13 Jahren zum 1. FFC Turbine Potsdam und gewann sie zweimal die deutsche Meisterschaft der B-Juniorinnen (2014, 2015). Mit 16 gab sie ihr Bundesliga-Debüt und startet an diesem Wochenende mit Turbine Potsdam in ihre fünfte Bundesligasaison.
35 Länderspiele bestritt Gina mittlerweile für die Junioren-Nationalmannschaften des DFB, nahm an der U17-Weltmeisterschaft 2017 teil und wurde mit der U19 2018 und 2019 Vizeeuropameisterin. Anfang kommenden Jahres steht die U20-Weltmeisterschaft in Costa Rica und Panama in ihrem Kalender.
Zum Interview kam Gina gut gelaunt auf ihrer selbst umgebauten Harley, einer Night Train im Stil der 1940er Jahre.
L-MAG: Gina, dein Verein Turbine Potsdam ist einer der letzten reinen Frauenfußballvereine in der Bundesliga. Haben wir in 10 Jahren noch reine Frauenfußballvereine?
Gina: Bestimmt, aber ob diese Vereine dann auch mithalten können mit Vereinen, die eine Männermannschaft im Rücken haben, ist die Frage. Da brauchst du ein extrem gutes Konzept, damit du eine Chance hast oder einen genialen Nachwuchs. Wir in Potsdam werden es versuchen.
Wer wird in dieser Saison das Rennen um die Meisterschaft machen – München oder Wolfsburg?
Bayerns Neuzugänge sind schon der Hammer. (München hat unter anderem sechs Nationalspielerinnen neu verpflichtet, darunter auch aus Österreich, Frankreich und der Schweiz, Anm. d. Red.). Wenn Bayern es schafft, aus den einzelnen Spielerinnen ein Team zu formen, hat auch Wolfsburg Probleme da mitzuhalten. Allerdings hat Wolfsburg neben ihrem Top-Kader mit Pernille Harder eine Spielerin, die absolute Weltklasse ist. Ihre Leistung Spiel für Spiel ist überragend, da ziehe ich den Hut (Harder wechselte letzte Woche zum Chelsea FC, Anm. d. Red.)
… und neben dem Platz?
Schon sehr süß mit ihrer Freundin, das nenn ich mal „relationship goals“! Ich würde sagen, da hat Pernille einen guten Geschmack bewiesen und mit Magdalena Eriksson eine top Wahl getroffen! (lacht)
Wie erklärst du dir den Erfolg von Wolfsburg, abgesehen davon, dass sie die teuersten und besten Spielerinnen haben – kann es auch am offenen Umgang mit dem Lesbischsein und der Unterstützung darin vom Verein zusammenhängen?
Oh, das ist eine gute Frage... (überlegt länger) Ich würde grundsätzlich erst mal antworten: Ja! Weil man sich dadurch besser selbst verwirklichen kann, auch freier auftreten kann auf dem Platz. Das Konzept stimmt einfach in Wolfsburg. Du erlebst dort nie eine Diskriminierung, im Gegenteil, sie tragen die Regenbogenbinde auch bei den Männern. Ich finde das ganz wichtig, dass beide Seiten den Regenbogen tragen. Dass es nicht wieder nur heißt, homosexuell sein hat nur was mit Frauenfußball zu tun, sondern dass beide Seiten damit offen umgehen. Und der Verein sagt: Ja wir unterstützen das. Für einen selber ist es ein besseres Gefühl, wenn du weißt: „Hey ich werde so genommen, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen, ich kann spielen und sein, wie ich will.“ Ich glaube diese offene Art überträgt sich auch auf den Fußball, auf den Stil des Fußballs.
Ist es okay für euch, ein Selfie mit eurer Freundin zu posten?
Es sollte auf alle Fälle okay sein, wenn nicht sogar selbstverständlich. Es kommt natürlich auch immer auf die Persönlichkeit der jeweiligen Frau an. Für mich gehört es dazu, meine Happiness auch nach außen zu tragen. Bei Turbine steht man noch nicht ganz so im Fokus wie zum Beispiel bei Wolfsburg oder Bayern, da hat man dann auch noch mehr Privatsphäre. Das ist einerseits sehr gut, da du wirklich noch viel Privatleben hast. Andererseits wäre es vielleicht für Spielerinnen, die noch nicht so offen damit umgehen, nicht schlecht, wenn der Verein auch nach außen zeigt, dass es kein Problem ist homosexuell zu sein.
Wie war es eigentlich für dich, als du herausgefunden hast, dass du auf Frauen stehst?
... das erste Girl? (schmunzelt) … Ich habe damit selbst gar nicht gerechnet. Aber ich war selbstbewusst genug, dank Mama und Papa by the way, und ab dem Zeitpunkt war es für mich ziemlich klar, dass Frauen für mich mehr sind als nur gute Freundinnen. Dank des Fußballs war es dann auch nicht schwer, das so offen nach außen zu tragen.
Was vermutlich unsere Leserinnen brennend interessiert: wie ist denn dein aktueller Beziehungsstatus?
Zurzeit genieße ich mein Single-Leben und tue mich schwer mich von jemandem abhängig zu machen. Wenn mich aber eine Frau von der ersten Sekunde an umhaut, dann möchte ich diese Dame nicht mehr aus meinem Leben gehen lassen. Ich glaube an das Schicksal und denke, es wird alles kommen, wann es kommen soll.
Du hast verraten, dass du auch gern auf Partys, wie z.B. die Berliner „L-Tunes“ gehst. Hast du einen Tipp für die, die dich vielleicht ansprechen wollen?
Wer mich mit den Worten „Du bist doch Fußballerin bei Turbine“ anspricht - die hat schon verloren! Mehr wird nicht verraten.
Öffentlich geoutet hast du dich im Januar, stilsicher auf Instagram. Gab es besondere Reaktionen darauf?
Ja. Eine Geschichte möchte ich erzählen, die hat mich sehr bewegt. Nach einem Spiel hat mich ein junges Mädchen angesprochen und mir gesagt, dass sie meinen Post so schön fand. Sie hat mir dann anvertraut, dass sie weiß, dass sie auf Frauen steht, aber sich nicht getraut hat es irgendjemandem zu sagen. Außer mir, das war ihr erstes Mal. Es hat mich sehr berührt, dass sie mir ihr Vertrauen geschenkt hat. Das hat mir gezeigt, dass man es schaffen kann, auch andere zu ermutigen. Wenn du selber kein Problem damit hast und die ganze Scheiße von Coming Out bis was-weiß-ich auch schon durch hast. Für dich ist es gut und einfach, es zu akzeptieren. Ich finde es schön, wenn du über den Punkt hinweg bist und anderen damit helfen kannst.
Danke, Gina, für deine offenen Worte. Viel Erfolg in der kommenden Saison, und wir freuen uns schon darauf, auch bei Turbine Potsdam den Regenbogen zu sehen.
Dieses Interview erschien zuerst in der Sept./ Okt.-Ausgabe der L-MAG. Das neue Heft mit vielen weiteren Themen wie LGBT-Community und Rassismus, einem Interview mit der Schriftstellerin Mirjam Müntefering, Fotos der Dyke* Marches 2020 und vielen Film-, Musik- und Buchtipps gibt's an jedem Bahnhofskiosk, im Abo, als e-Paper und bei Readly.
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