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Verfolgung Homosexueller: “Dass auch Lesben entschädigt werden können, ist weitestgehend nicht bekannt“

Menschen, die wegen ihrer Homosexualität bestraft wurden, steht seit zwei Jahren eine Entschädigung zu. Doch unter den ohnehin nur wenigen Anträgen befindet sich bisher nur einer von einer Frau. Dabei galt der DDR-Verbots-Paragraf 151 auch für Lesben.

niu niu/Unsplash, Andy Walker/ CC-BY-NC

Von Anette Stührmann

30.9.2019 - Seit Juli 2017 gibt es für Justizopfer der Antihomosexuellen-Paragrafen 175 und 151 die Möglichkeit, Entschädigung zu beantragen nach dem „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“ (StrRehaHomG).

Verblüffend ist nicht nur, dass in den mehr als zwei Jahren bis dato nur 160 Anträge beim Bundesamt für Justiz eingegangen sind, sondern vor allem auch, „dass bisher keine einzige lesbische Frau einen Antrag auf Entschädigung gestellt hat,“ wie Ulle Schauws, Sprecherin für Frauen- und Queerpolitik der grünen Bundestagsfraktion, herausfand, die bei der Bundesregierung eine entsprechende Anfrage gestellt hatte.

Inzwischen wurde ein erster Entschädigungsantrag von einer betroffenen Frau eingereicht, wie die Tageszeitung letzte Woche berichtete.

70.000 Menschen in Ost und West wegen Homosexualität verurteilt

Dabei wurden laut Bundesjustizministerium in der Zeit von 1945 bis 1994 fast 70.000 Menschen in Ost und West nach den Paragrafen 175 und 151 verurteilt, nach Schätzung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung darunter auch 4.300 Personen, die in der DDR bis zur Abschaffung des § 151 im Jahr 1988 verurteilt und mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft wurden.

Unter den Verurteilten und Inhaftierten waren auf jeden Fall auch Lesben, da der DDR-Paragraf 151, der 1968 den Paragraf 175 ersetzt hatte, auch für Frauen gleichgeschlechtlichen Sex mit Jugendlichen unter Strafe stellte - im Gegensatz zum § 175 der alten Bundesrepublik, der sich in wechselnd drastischen Versionen bis 1994 hielt und ausschließlich Männer betraf. Allerdings: „Dass auch Lesben entschädigt werden können, ist weitestgehend nicht bekannt“, sagte Schauws gegenüber L-MAG.

Viele Betroffene inzwischen hochbetagt oder verstorben

Hinsichtlich der Gründe für die lesbische Abwesenheit unter den Anträgen gibt es Spekulationen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Man habe mit der Verabschiedung des Gesetzes und der Rehabilitierung der Justizopfer viel zu lange gewartet, hört man von KritikerInnen, so seien viele der Betroffenen inzwischen entweder verstorben oder in hochbetagtem Alter. Zudem seien die Entschädigungsbeträge von 3.000 Euro pro Verurteilung sowie 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr einer Haftstrafe zu gering. Was im Übrigen tatsächlich auch an der verhältnismäßig geringen Zahl der Anträge insgesamt abzulesen ist.

Außerdem wurde von Anfang an kritisiert, dass das Rehabilitierungsgesetz von 2017 nur rechtskräftig Verurteilte anerkennt, andere Aspekte der Verfolgung durch Staat und Justiz wie Untersuchungshaft, Strafverfolgung auch ohne Verurteilung, eingeleitete Ermittlungsverfahren, Beeinträchtigung zum Beispiel hinsichtlich beruflicher, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Diskriminierung aber nicht zur Kenntnis nimmt.

In dieser Hinsicht wurde kürzlich nachgebessert: Im März dieses Jahres trat die neue Richtlinie des Justizministeriums in Kraft. So gilt die Entschädigung seither auch für ehemalige Untersuchungsinhaftierte, und Betroffene können nun zusätzlich 500 Euro Entschädigung für jedes eingeleitete Ermittlungsverfahren sowie 1.500 Euro für außergewöhnliche negative Beeinträchtigungen beantragen.

Der Ost-Paragraf 151 ist aus dem Blickfeld geraten

Trotz dieser Erweiterung und der verstärkten Aufmerksamkeit, die dem Thema neuerdings gestiftet wird, bleiben die vermuteten Hürden hinsichtlich lesbischer Entschädigungsanträge bestehen. So wird auf der Webseite des Ministeriums etwa auf die Hotline der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren e.V. verwiesen, während es kein Unterstützungsangebot für Lesben gibt (z.B. einen Link zum Dachverband Lesben und Alter).

Mangelnde Information und Unterstützung sieht auch die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws im L-MAG-Interview als Grund dafür, dass es bis vor kurzem keine Antragstellerin auf Entschädigung gab: „Ich bin der Meinung, dass Lesben, die damals verurteilt oder angeklagt und nicht verurteilt wurden sowie einem Klima der Angst vor Repressalien ausgesetzt waren, deshalb vielleicht heute nicht wissen, dass sie einen Anspruch auf Entschädigung haben könnten.“ Schließlich werde immer nur von dem Westparagrafen 175 geredet. „Der 151 hingegen war ja vor der Wende gestrichen, deshalb ist er aus dem Blickfeld geraten, auch wenn heute im Gesetz zur Entschädigung beide Paragrafen stehen. Das muss man aber wissen. Und ich finde, da tut die Regierung zu wenig.“

Alle Informationen zu Entschädigungen nach dem StrRehaHom-Gesetz stehen auf der Webseite des Bundesamts für Justiz.

In der kommenden Ausgabe der L-MAG findet ihr ein ausführliches Interview mit Ulle Schauws (erscheint Ende Oktober).

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