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Was tun gegen den Corona-Blues?

Lockdown 2.0: Die Infektionszahlen machen Angst, der Kampfgeist ist ausgelaugt. Wie können wir die nächsten Wochen und Monate psychisch überstehen und Depressionen vermeiden? Wir sprachen mit der Psychologin Julia Tomanek über Fakten und Strategien.

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Von Florian Bade

21.12.20 - Frau Tomanek, die Zahlen der Depressionen und Krankmeldungen schnellen dank Corona in die Höhe. Was macht dieser zweite Lockdown mit unserem Kopf?

Julia Tomanek: In Deutschland deutet sich an, dass depressive Symptome und Ängste um 20 bis 30 Prozent zugenommen haben. Die Schwierigkeit im Umgang mit dieser ungewissen Bedrohung liegt darin, dass wir so lange durchhalten und Einschränkungen hinnehmen müssen. Das belastet uns, auch weil unser Organismus besser mit kurzfristigem als mit langfristigem Stress umgehen kann. In Stresssituationen schüttet der Körper Botenstoffe aus, die auf kurze Zeit hilfreich sind und Energien freisetzen. Auf lange Sicht können diese Stoffe aber unser Immunsystem kompromittieren und zu Ermüdungserscheinungen wie Depressionen führen. Zudem brechen für viele bisher bewährte Bewältigungsmechanismen wie Clubs, Sportvereine, Theater weg. In einer Krisensituation sind deshalb soziale Kontakte besonders wichtig, da sie Trost spenden und helfen, die Hoffnungslosigkeit zu reduzieren und so besser mit diesem diffusen Stress umzugehen. Ein zweiter Lockdown bringt da viele an den Rand.

Wie kann ich als Laie eine Depression erkennen?

Die meisten Menschen kennen einzelne Aspekte depressiver Symptome: Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Antriebsmangel, Schlafstörungen und sozialer Rückzug. Nervös oder gereizt sein passt auch gut zum jetzigen subtilen Unsicherheitsbefinden. Ein gewisses Maß an Ängsten ist ja auch völlig normal in einer Zeit von Instabilität und tatsächlicher Bedrohung. Der essenzielle Unterscheidungspunkt zu den „normalen“ Empfindungen ist, wenn die Person selbst oder auch Angehörige merken, dass diese Verstimmung über ein bis zwei Wochen stabil bleibt und es so gut wie keine Schwankungen gibt. Bei stärkeren Fällen kommt es dann zu ausgeprägten Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen oder sogar Suizidgedanken. Das sind deutliche Alarmzeichen und man sollte professionelle Hilfe zur Einschätzung aufsuchen. Wichtig finde ich aber auch, dass wir da aufeinander achtgeben. Wenn jemand in unserem Umfeld ist, der in diesem Sinne auffällt, können sich auch Angehörige Unterstützung bei Profis holen, z. B. bei der Lesben- und Schwulenberatung oder beim Berliner Krisendienst.

Queere Netzwerke drohen in dieser Zeit wegzubrechen. Was bedeutet das für unsere Community?

Kontakt zu anderen Menschen ist, wie gesagt, ganz wichtig. Für Menschen, die nicht der Heteronorm entsprechen, kann es besonders in ländlichen Gebieten schwieriger sein, ein unterstützendes soziales Netz zu finden. Oft ist auch der Halt in der Ursprungsfamilie nicht so gegeben. In der Corona-Zeit ist die Familie für viele der sicherste Anker, der auf jeden Fall da ist und auf den viele ihre Kontakte beschränkt haben. Menschen, die sich nicht in diesen klassischen Familienstrukturen bewegen können, sind allein dadurch häufig stärker isoliert. Aufgrund des Gefühls der Andersartigkeit und der mangelnden Zugehörigkeit sind LGBTQI*-Netzwerke sehr bedeutsam für den sozialen Kontakt. Ihr Wegbrechen kann sich sehr bedrohlich anfühlen und damit wiederum den empfundenen Stress erhöhen.

Aber mit Social Distancing und ohne Schutzräume sieht es dann ja zappenduster aus.

Ja, es ist eine Herausforderung. Andererseits ist die LGBTQI*-Community auch daran gewöhnt, diese Netzwerke selbst zu strukturieren, weil wir wissen, dass sie nicht einfach auf der Straße liegen. Wir müssen also besonders in dieser Zeit aktiv Leute suchen, mit denen wir uns gut verbunden fühlen. Die Community ist aber auch gut darin, sich rasch wieder aufzustellen und gut füreinander zu sorgen.

Gehören wir also nicht zur Risikogruppe?

Per se auf keinen Fall. Aber für Menschen, die eh schwerere Päckchen zu tragen haben, ist es eine größere Herausforderung, zusätzliche Belastungen zu kompensieren. Auch ökonomische Faktoren spielen da eine Rolle, da Geld uns jetzt wichtigen Komfort und Entspannung, aber auch Sicherheit ermöglicht. Menschen, die ihre Identität sehr anders definieren und nach außen zeigen, sind ökonomisch oft nicht so gut aufgestellt, weil ihnen Zugänge verwehrt werden. Kommen Risikofaktoren und Vulnerabilitäten zusammen, sind wir anfällig dafür, mit Stress nicht so gut umgehen zu können.

Wie kann man die Widerstandsfähigkeit erhöhen?

Aus dem ersten Lockdown lernen, was guttat, aber auch lernen, rechtzeitig Hilfe zu holen. Ansonsten den Lebensstil aufrechterhalten. Es klingt so basic, aber wir müssen gerade jetzt gesund und bei Kräften bleiben. Ganz konkret: Tagesstruktur beibehalten, gesund essen, Sport machen, möglichst für gute Ausruh- und Schlafbedingungen sorgen. Den Konsum von Nachrichten auf ein- bis zweimal am Tag reduzieren. Positive Nachrichten beachten. Für die Psychohygiene ist auch wichtig, den Gefühlen, die jetzt hochkommen, Raum zu gegeben, sie zu teilen oder eine kreative Ausdrucksform wie Malen zu finden, um diese längerfristig aushalten zu können.

Was passiert sonst?

Wenn wir Gefühle verleugnen, bleiben sie trotzdem weiter wirksam, sind dann aber nicht mehr so gut erkennbar und kommen an einer anderen Stelle verdreht wieder heraus. So wird aus Angst etwa Wut und aus einer realen Bedrohung durch Viren eine Weltverschwörung. Meditation kann auch helfen, um Gefühlen Raum zu geben. Oder die Fantasie nutzen, als Ausweg und als Belohnung, die irgendwann kommen wird. Freut euch auf die Party danach!

Für viele Paare wird das Aufeinanderhocken zur Zerreißprobe. Wie kann man kitten?

Natürlich ist gute Kommunikation essenziell. Wenn möglich, eigene Räume definieren und auch mal die Zimmertür zumachen. Rausgehen. Vielleicht sogar mal bei Freund*innen unterkommen. Wichtig ist, die Bedürfnisse zu formulieren und sich nicht gegenseitig verurteilen, wenn man sich abgrenzt. Löst dies Angst aus, abschätzen, wie realistisch diese Angst ist, und nicht katastrophisieren. Sollte sich die Partnerin oder der Partner aber emotional entziehen oder sogar gewalttätig werden, muss man radikal für sich selbst sorgen und Hilfe suchen.

Und polygame oder polyamore Beziehungskonzepte?

Für Menschen, die nicht in normativen Zweierbeziehungen leben, ist bereits die Lockdown-Beschränkung auf zwei Haushalte schwierig. Sexualität kann ja auch Entspannung bringen. Ich rate, einen Buddy für die Zeit zu suchen, andere Kontakte einzuschränken und gut zu kommunizieren, was okay ist, welche Risiken man eingehen will.

Wie ist die Prognose bei einer Depression?

Die meisten Depressionen klingen von alleine ab. Besonders wenn ein umgrenzter Auslöser wie eine Trennung oder eben eine Pandemie verantwortlich ist, ist die Prognose gut. So oder so wird es durch Therapie und eventuelle Medikamentengabe meist besser. Lässt man eine Depression unbehandelt, ist die Gefahr, dass sie wiederkommt, groß.

Die Diplompsychologin Julia Tomanek ist Psychologische Psychotherapeutin und Systemische Therapeutin in Berlin.

Eine Liste mit psychologischen Beratungsangeobten für LGBTIQ* in Deutschland, Österreich und der Schweiz findet ihr hier.

 

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