L-Mag

Wenn Lesben reisen: Mit Fahrrad, Freundin und Zelt um die Welt

Auf, auf und davon: Ex-L-MAG-Chefredakteurin Dana Müller erfüllte sich einen Traum und radelt von Berlin nach Sydney. Aus Sarajevo schickte sie ihren ersten Reisebericht von ihrer 10.000 km-Tour, die Ende Januar begann.

Fabulous Female CyclistsDana (l.) und Anke an der Tara-Schlucht in Montenegro

Von Dana Müller

19.6.2022 - Es war ein lang gehegter Traum - und endlich wird er wahr. Ich habe 14 Monate Zeit, um mit dem Fahrrad, meiner Freundin Anke und einem Zelt um die Welt zu fahren. Während ich diesen Text tippe, sitzen wir in Sarajevo in einem kleinen Café in der Altstadt.

Wir sind geflasht: Die ersten fünf Monate unserer Reise liegen hinter uns. Puh, was für eine Odyssee. Wir haben fast 4.000 km geschafft, darunter so einige Höhenmeter. Wir sind durch Italien, Griechenland, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina geradelt, haben bei Steigungen im prallen Sonnenschein geflucht und bei 50 km/h bergab gejubelt. Wir haben viel über Länder, Leute und Politik gelernt. Wir sind zwischen den alten Säulen von Delphi gewandelt, haben auf einer Farm gearbeitet, wurden zu einer albanischen Familie eingeladen und waren im Kriegsmuseum in Mostar (zum Genozid im Bosnienkrieg) zutiefst schockiert.

„Wow, wir machen das jetzt wirklich!“

Wir sehen die Welt mit anderen Augen und staunen immer wieder aufs Neue: „Wow, wir machen das jetzt wirklich!“ Und es funktioniert erstaunlich gut. Jeden Tag fahren wir zwischen 50 bis 70 km, je nachdem wie viele Berge wir dabei überwinden müssen. So ziemlich jeden Tag bauen wir abends unser Zelt auf - mal auf einem Campingplatz, mal irgendwo in der Natur. Ein Novum für uns: Nie zuvor haben wir wild gezeltet… und es macht Spaß. 10 Liter Wasser im Wasser-Sack aufgefüllt, den Multifuel-Brenner fürs Abendessen angeschmissen, das Zelt aufgebaut… fertig.

Während wir anfangs noch auf jedes Geräusch lauschten, schlummern wir nun erschöpft gegen 22 Uhr ein, denn schließlich klingelt um 5:40 Uhr der Wecker wieder. Dann gibt's Porridge mit frischen Obst - und los geht's, bevor die Sonne das Treten in die Pedale unerträglich macht.

Maximal sechs Tage fahren wir am Stück, dann brauchen wir ein bis zwei Tage Pause. Manchmal - so wie gerade in der Großstadt Sarajevo - gönnen wir uns eine Auszeit in einem günstigen Appartement.

Ein Jahr Vorbereitung: Was muss alles mit?

Die konkrete Planung für diese Reise der Superlative dauerte knapp ein Jahr, auch wenn die Idee schon lange in uns keimte. Vor fünf Jahren haben wir angefangen, jeden Monat etwas Geld zur Seite zu legen. Als der Zeitpunkt für uns günstig schien, zählten wir das Gesparte zusammen, recherchierten und beschlossen: 14 Monate mit Fahrrad und Zelt sind machbar.

Wir kündigten unsere Jobs, verließen die Wohnung und zogen Ende Januar 2022 los. Seitdem dürfen wir gemeinsam jeden Tag maximal 35 € ausgeben (inklusive Essen, Übernachtung und Sehenswürdigkeiten). Das ist nicht viel, aber in der Fahrrad-Community gehören wir damit zum Mittelfeld, und wir gönnen uns bei diesem Budget jeden Tag einen frischen Salat zum Mittagessen und kochen abends kreative Speisen - Ankes Brandy-Sahnesoße bleibt unvergessen!

Was wir allerdings nicht einkalkuliert haben, sind Reparaturkosten. So haben wir zwar ein Extrabudget für Reisekosten (Flüge, Züge, Fähren oder Visa), aber regelmäßig geht etwas kaputt oder muss ersetzt werden. Meine Isomatte ist gerade defekt, und Anke brauchte bereits eine neue Hose. Das sind Kosten, die eigentlich in den 35 € mit drin sind - ganz schön knapp. Zum Glück haben wir eine Fahrrad-Versicherung, die uns immerhin Fahrradwerkstatt und Ersatzteile bezahlt.

Fabulous Female CyclistsCamping in Žabljak (Montenegro)

Die gesamte Vorbereitung dauerte letztlich ein Jahr. Route und Klimatabellen wurden ausgiebig gecheckt. Wo können wir in welchem Monat radeln? Wir waren im Tropeninstitut, ließen uns gegen alles Mögliche impfen (wir schwören auf die Cholera-Impfung: auch wenn wir wahrscheinlich durch kein Cholera-Gebiet kommen, schützt sie vor diversen Durchfallerkrankungen, und bisher trinken wir das Leitungswasser überall ohne Probleme). Wir verbrachten viele Tage in Berliner Outdoor-Läden und wurden immer gut beraten.

Lesbisch sichtbar oder doch lieber „straight-acting“?

Ich radele seit Beginn in Bologna mit einer kleinen Regenbogen-Fahne am Lenker. Doch ab und an fragen wir uns: Wie offen können wir eigentlich als lesbisches Paar auftreten? In Italien winkten uns noch begeistert junge queere Frauen beim Anblick der Fahne zu, aber was denken die Leute in den Balkan-Ländern über uns?

So wurden wir zum Beispiel in Albanien eines Abends von einem netten Schäfer zu seiner Familie eingeladen. Er wollte auf keinen Fall zwei „junge Frauen“ (wir sind 39 und 41!) in der Wildnis zelten lassen: „Hier gibt es Füchse und Schlangen!“ Also verbrachten wir einen schönen Abend im Kreise seiner Familie. Wir bekamen ein reichliches Mahl und zum Frühstück frische Milch von der Kuh hinterm Haus. Nachts schliefen wir im Zimmer der drei Töchter, die Ältere gab ihr Bett für uns auf und kuschelte mit den Schwestern, während wir die ganze Nacht rätselten, ob wir lieber Sicherheitsabstand wahren sollten. Denn gleich beim Kennenlernen stellte die älteste Tochter klar: „Mein Vater ist ein sehr konservativer Mann.“

Und das konnten wir gut beobachten: Obwohl er sehr liebevoll zu Frau und Kindern war, wurde er den ganzen Abend bedient. Ein Bier hier, das Handy da mal von der Tochter geholt… Als wir nach unseren Eltern gefragt wurden, erzählte Anke, dass ihre geschieden und beide wieder glücklich verheiratet seien. Das fand er gar nicht gut. Was würde er wohl zu einem lesbischen Paar sagen?

Prompt wurden wir gefragt, ob wir Schwestern seien

Wir wurden dann auch prompt gefragt, ob wir Schwestern seien - wir verneinten das vehement, gingen aber nicht weiter auf unser Verhältnis ein. Dabei treten wir in Berlin immer sichtbar lesbisch auf, ob auf Arbeit, privat oder in der Öffentlichkeit, wir wollen uns nirgends verstecken. Doch nun nehmen wir uns immer wieder zurück. Manchmal laufen wir Hand in Hand oder küssen uns auf der Straße, manchmal verzichten wir lieber darauf.

Jetzt fahren wir weiter Richtung Serbien, Bulgarien und in die Türkei. Da unsere ursprüngliche Route über Russland nicht mehr in Frage kommt, sehen wir von dort aus weiter, wie wir nach Vietnam und Laos kommen, bevor wir von Malaysia nach Down Under fliegen. Spätestens im Februar 2023 wollen wir in Australien ankommen und den Winter auf der südlichen Halbkugel verbringen, bevor wir an die Rückreise denken.

Aber bis dahin warten sicher noch viele erstaunlichen Eindrücke, einige anstrengende Berge und hoffentlich reichlich bereichernde Begegnungen auf uns.

Dana Müller wird in unregelmäßigen Abständen weiter von ihrer Reise berichten - so erfahrt ihr, ob sie wirklich in Australien ankommt und was sie auf dem Weg dahin erlebt.

Danas und Ankes Reise könnt ihr auch in ihrem Blog Fabulous Female Cyclists und auf Instagram begleiten.

 

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