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Wie wehrt man sich gegen Hasskommentare?

Wir sprachen mit Alina Darmstadt und Theresa Lehmann vom Projekt „Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz“ über Online-Taktiken der extremen Rechten, Hate Speech gegen LGBTI* und Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.

Kevin Wong/ CC-BY

Von Andreas Scholz, 20.8.2020

Das Projekt Civic.net der Amadeu Antonio Stiftung wurde 2017 ins Leben gerufen. Was war die Motivation?

Alina: Grundsätzlich sollte niemand Angst vor Hasskommentaren haben müssen, die sich gegen zugeschriebene oder tatsächliche Identitätsmerkmale wie Herkunft, Religion, Geschlechtsidentität und Begehren richten. Dies gilt auch für Organisationen, die sich für ein demokratisches und plurales Miteinander einsetzen. In den letzten Jahren haben wir beobachtet, dass offline viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen gut organisiert sind. Online sind ihre Stimmen aber noch sehr zaghaft. Beispielsweise kommt es selten vor, dass ein Neonazi-Aufmarsch ohne Gegenproteste stattfindet. Aber in Sozialen Netzwerken werden Nutzer*innen und ganze Gruppen täglich beschimpft und belästigt. Betroffene fühlen sich häufig allein gelassen.

Wer sucht bei euch Hilfe und Beratung?

Theresa: Wer auf Diskriminierungserfahrungen hinweist oder generell gesellschaftliche Missstände bearbeitet, kommt online um Anfeindungen kaum herum. Die wenigen zivilgesellschaftlichen Initiativen haben oft keine oder nur wenige Ressourcen, um die eigenen Kanäle umfassend zu betreuen. Meistens machen das Personen aus der Öffentlichkeitsarbeit, Projektmitarbeitende und Ehrenamtliche „mal so nebenbei”. Wenn sich diese Mitarbeitenden auf immer wiederkehrende Anfeindungen vorbereiten, Organisationen einen Shitstorm nachbereiten oder wenn sich andeutet, dass die Kommentare von ein paar zu ein paar Tausend hochschnellen, werden wir kontaktiert.

Wer steht hinter diesen Angriffen?

Alina: Das ist unterschiedlich. Manchmal sind es Trolle, mal Akteur*innen der extremen Rechten oder private Besorgtbürger*innen, die sich in den Kommentarspalten tummeln und meinen, User*innen und zivilgesellschaftliche Akteur*innen angreifen zu müssen. Ihre Strategie ist es, permanent das Engagement gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sowie die Solidarisierung mit Betroffenen zu diskreditieren. Demokratische Akteur*innen, die Angegriffene schützen, Kommentare melden und rechtsextreme Agitation nicht zulassen zu wollen, werden dann beispielsweise als „wahre Undemokrat*innen“ und „Zensor*innen” diskreditiert.

Was sind die größten Probleme, mit denen ihr konfrontiert seid?

Alina: Eines der größten Probleme ist es, der Zeit und Dynamik des Web 2.0 gerecht zu werden. Gerade wenn ein Shitstorm sehr überraschend losbricht, sind die internen Strukturen dafür oft gar nicht ausgelegt. So ein Shitstorm ist ja schon vorbereitet eine sehr kräftezehrende Situation. Unvorbereitet können fehlende Kapazitäten, die dynamische Situation sowie explodierende Kommentarspalten schnell und verständlicherweise zu einer enormen emotionalen Belastungssituation führen, sowohl für das Team als auch für Personen, die die Social Media-Kanäle betreuen.

Sally B Theresa Lehmann (li.) und Alina Darmstadt von Civic.net

Wie gehen Plattformen wie Twitter, Facebook und Instagram mit diesem Problem um?

Theresa: Facebook, Twitter und Instagram sperren zunehmend reichweitenstarke rechtsextreme Profile, wie jetzt zuletzt die Kanäle der Identitären Bewegung auf Twitter. Meistens folgt auf dieses sogenannte Deplatforming aber der Umzug auf andere Plattformen oder zu Messenger-Diensten wie Telegram. Hier kann weiter ungestört Menschenfeindlichkeit geäußert werden. Das heißt: Verbesserte Löschpolitik kann die Reichweiten solcher Akteur*innen einschränken, langfristig aber nur bedingt begegnen.

Ihr betont, dass bestimmte Gruppen ganz gezielt, taktisch und organisiert Hasskommentare setzen. Wie läuft ein solcher Angriff ab?

Alina: Es ist eine gezielte Strategie, Organisationen mit Hass, Diffamierungsversuchen und Desinformationen anzugreifen, um Engagierte zu verunsichern und zum Schweigen zu bringen. In Telegram-Gruppen werden dazu beispielsweise Feindbilder benannt und zum Posten, Down-Voten und Stören auf den jeweiligen Kanälen aufgerufen. Häufig wiederholen sich Narrative und provozierende Fragen zu spezifischen Themen. Durch die permanente Wiederholung solcher Erzählungen verfangen sich dann Inhalte auch bei Menschen, die sonst vielleicht keine expliziten Berührungspunkte mit rechtsextremen Milieus haben. Das funktioniert leider erschreckend gut und normalisiert langfristig menschenfeindliche Erzählungen.

Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen Hasskommentare zu wehren?

Alina: Strafbares kann angezeigt werden – zum Beispiel über die Online-Wachen der Polizei in den Bundesländern. Menschenfeindliche Kommentare und Bilder können zusätzlich bei den Plattformen gemeldet oder an Beschwerdestellen wie die Internet-Beschwerdestelle oder hassmelden.de weitergeleitet werden. Das meiste, was uns in den Kommentarspalten begegnet, ist allerdings von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dem zu widersprechen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Beispielsweise werden auf dem Portal respektcheck.de, einer Zusammenarbeit des LSVD und der Amadeu Antonio Stiftung, gängige homo- und transfeindliche Vorurteile und Stereotype argumentativ entkräftet und Ansätze der Gegenrede niedrigschwellig bereitgestellt.

Was sind eure bisherigen Erfahrungen mit „Hate Speech“ gegenüber LGBTI*? Theresa: Trotz offensichtlicher Erfolge der letzten Jahre erreichen LGBTI* auch online immer noch häufig herabsetzende Kommentare bis hin zu Dehumanisierung und expliziten Gewaltandrohungen. Queere Personen werden beispielsweise absichtlich misgendert, oder es wird versucht, das Selbstbestimmungsrecht der Person zu untergraben. Der Youtuber Tarik Tesfu war nach einer schon lange währenden rassistischen und homofeindlichen Hasskampagne einer der ersten prominenten Fälle des so genannten Doxxing: Seine Accounts wurden gehackt und private Daten veröffentlicht, um ihm willentlich zu schaden. Auch das Outen anderer kann als Form von „Doxxing“ betrachtet werden.

Im Juni wurde ein Gesetz gegen Hasskriminalität im Internet verabschiedet. Kritisiert wurde u. a., dass damit der Datenschutz der Nutzer*innen in Teilen aufgehoben werde. Wie seht ihr das Gesetz?

Alina: Es ist gut, dass die Verfolgung von strafbaren Posts, Bildern und Kommentaren ernst genommen wird. Auch die Standardisierung der Transparenzberichte der Plattformen oder die schnelleren Schutzmaßnahmen für bedrohte Politiker*innen und zivilgesellschaftlich Engagierte sind sinnvoll. Die Verpflichtung, strafbare Posts direkt an das Bundeskriminalamt weiterzuleiten, ermöglicht aber Vorratsdatenspeicherung bei den Ermittlungsbehörden selbst. Ein großes Problem bleibt: Wer beurteilt die Strafbarkeit? Hier wird nach wie vor die Einordnung im sensiblen Bereich der Meinungsäußerung privaten Unternehmen überlassen und mehr denn je fehlt es an Personal und Expertise, um der Menge an angezeigten Fällen gerecht zu werden. Juristische Schritte sind wichtig, Gesetze allein lösen aber nicht das zugrundeliegende Problem. Die meisten Kommentare und Posts, welche die Betroffenen erreichen, sind ohnehin von der Meinungsfreiheit gedeckt. Eine zögerliche Moderation und fehlender Widerspruch von allen User*innen begünstigen immer wieder eskalierende Kommentarspalten. Es braucht verstärkte Medienbildung, Opferschutz und das Empowerment der von Hate Speech betroffenen Personen und Gruppen.

Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz bietet ein kostenfreies Angebot, das u. a. Workshops, Fortbildungen und Vernetzungstreffen umfasst

Kontakt: civicnet@amadeu-antonio-stiftung.de

Weitere Infos bei der Amadeu-Antonio-Stiftung

 

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