Wird es Zeit, von Meta, X und TikTok Abschied zu nehmen?
„Soziale Medien waren nie ein Safer Space“, sagt Lislis vom FLINTA*-Hackspace Heart of Code. Wir sprechen mit ihr darüber, wie gefährlich die aktuellen Entwicklungen auf den großen Plattformen sind und was wir im Umgang mit Social Media verbessern müssen.

Von Selina Hellfritsch
2.3.2025 - Der gemeinnützige Verein Heart of Code bringt seit 2015 technikbegeisterte und interessierte FLINTA*-Personen in Berlin zusammen. Er ist ein feministisch-politischer Space, der die Hacking-Community und Tech-Landschaft diverser gestalten will. Auch den Hackspace beschäftigen die aktuellen Entwicklungen der sozialen Netzwerke X, Meta und TikTok, die ideologisch immer weiter nach rechts driften – und das auf Kosten der Rechte und Freiheiten auch der queeren Community. Wir trafen Lislis von Heart of Code zum Interview
Lislis, soziale Netzwerke bedeuten für die queere Community Austausch und Sichtbarkeit. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob sie je Safer Spaces waren oder es überhaupt sein können?
Lislis: Soziale Medien waren noch nie Safer Spaces. Die großen Plattformen haben schon immer ihre eigenen Regeln festgelegt und entschieden welche Inhalte gefiltert oder gelöscht werden. Dabei sind sie in erster Linie sich selbst oder den gesetzlichen Vorgaben der jeweiligen Länder Rechenschaft schuldig – aber nicht den Nutzer:innen. Ein gutes Beispiel dafür ist Tumblr, das früher als kreativer Freiraum für die LGBTIQ*-Community galt, bis zahlreiche Inhalte gelöscht und eingeschränkt wurden, die von der konservativen Mehrheit als sexualisiert eingestuft wurden. Nutzer:innen hatten keine Chance ihre Inhalte zu sichern, sie gingen einfach verloren. Der scheinbare Schutz auf profitorientierten Plattformen ist eine Illusion. Am Ende zählt, was Aufmerksamkeit und Geld bringt, und das ist oft Hass und Empörung.
Wie gefährlich sind diese aktuellen Entwicklungen?
Für junge Leute ist das digitale Leben fast ausschließlich an die Social Media-Plattformen gebunden. Erschreckend ist, dass das Bewusstsein für digitale Selbstbestimmung und Medienkompetenz fehlt. Viele speichern ihre Inhalte nur noch in der Cloud oder auf Instagram & Co., ohne zu realisieren, dass sie keine wirkliche Kontrolle darüber haben. Und wenn diese Unternehmen Richtlinien ändern oder Inhalte löschen, sind die Daten verloren. Das ist besonders problematisch für Formate mit gesellschaftlichem oder historischem Wert
Können sich FLINTA* Personen überhaupt noch sicher auf den Plattformen bewegen?
Der Schutz persönlicher Daten auf den großen Plattformen wie Meta, X und TikTok ist fragwürdig und unzureichend. TikTok ist beispielsweise dafür bekannt, queeren Content bewusst in der Reichweite einzuschränken, gleichzeitig gibt es wenig bis keinen Schutz vor Hassangriffen. Wenn sich genügend Personen organisieren, können sie gezielt queere Accounts melden, was zu einer Sperrung führt. Es wird vermutlich eher schlimmer als besser, daher ist es umso wichtiger auf Datensparsamkeit zu achten. Besonders gefährlich sind öffentlich einsehbare Informationen wie Name und Geburtsdatum, mit denen schon viel Schaden angerichtet werden kann.
Sind FLINTA* davon stärker betroffen?
Marginalisierte Gruppen sind auch in den sozialen Netzwerken stärker gefährdet, weil sie mehr im Fokus von Überwachung und Diskriminierung stehen. Ich organisiere zusammen mit anderen eine Cryptoparty und Sicherheitsworkshops für FLINTA*. Dabei merke ich immer wieder den Unterschied zu generellen Hacking-Spaces. Sobald mehr hetero cis Männer im Raum sind, wird eher abstrakt über staatliche und kommerzielle Überwachung diskutiert. Wenn aber FLINTA* in einem geschützterem Raum sind, geht es um konkretere Bedrohungen, Online-Stalking und Hass-Angriffe im Netz.
Oft wird der digitale Raum als Teil unserer Gesellschaft bezeichnet, in dem wir auch unsere Demokratie verteidigen müssen, um die Plattformen nicht den Rechten zu überlassen…
Ja und nein. Auf der einen Seite gibt es konstruktive Inhalte und eine Plattform wie Twitter hat mal dazu beigetragen, Diskussionen anzuregen. Auf der anderen Seite haben Algorithmen schon immer linke und rechte Gruppen getrennt und es entstanden Echokammern – und sobald sie aufeinandertrafen, gab es nur verhärtete Fronten. Diese Dynamik ist kein Zufall, sondern eine Folge der technischen Strukturen. Kommerzielle soziale Medien haben die Demokratie von Anfang an angegriffen, deshalb kann man sie auch nicht wirklich auf den Plattformen verteidigen. Es ist wichtiger, dass die linke und queere Bubble sich von den toxischen Plattformen abwendet und die eigenen Ressourcen, Zeit und mentales Wohlbefinden, besonders im echten Leben, schützt. Und dann können wir digitale Spaces finden.
Was sollten wir insgesamt beim Umgang mit sozialen Medien verbessern?
Es wird oft vergessen, dass hinter jeder technischen Infrastruktur Menschen stehen. Große Firmen kümmern sich nicht um einzelne Nutzer:innen, aber wenn es um kleinere, Community-basierte Projekte geht – so wie bei Mastodon die einzelnen Instanzen – dann sind es oft nur ein paar Leute, die sich darum kümmern. Es braucht mehr Empathie für die Menschen hinter der Technik, denn digitale Netzwerke existieren nicht im luftleeren Raum. Wenn wir also unabhängige, sichere und nicht-kommerzielle Plattformen wollen, müssen wir unser Verhältnis zu Technik verändern. Es geht darum zu verstehen, wie soziale Medien funktionieren, wer sie betreibt und wie wir als Community dort leben wollen.
Infos zu Heart of Code auf ihrer Webseite
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