„Work in Progress“: Die queere und etwas andere Lesbenserie
Die Dramedy „Work in Progress“ erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer lebensmüden Butchlesbe und einem jungen trans Mann jenseits der Hochglanzwelt von „The L Word“. Jetzt bei Sky und im Streaming.
Von Karin Schupp
17.2.2020 - Wem die Charaktere in The L Word zu dünn, zu schön und zu klassisch feminin sind, hatte bisher keine Alternativen. Denn auch die mittlerweile zahlreichen lesbischen und bisexuellen Frauenfiguren in anderen Serien müssen sich dem Schönheitsdiktat unterwerfen, das im Fernsehen als Standard gilt.
Besonders für Frauen, die nicht konventionell attraktiv sind, ist in dieser Welt ist kein Platz, und die Idee, wie eine Butch aussieht, endet normalerweise bei jemandem wie „Shane“ – einzige Ausnahme: Knastserien wie Orange is the New Black, wo es mit „Big Boo“ sogar die erste echte Butch in einer US-Serie gab (wenn auch nur in einer Nebenrolle). Doch diese weibliche Vielfalt schwappte nicht auf die anderen Seriengenres über.
Dieses Vakuum füllt jetzt erfreulicherweise Work in Progress. Die Serie, die der US-Sender Showtime kürzlich direkt im Anschluss an sein The L Word-Reboot ausstrahlte und die jetzt bei Sky startet, ist das komplette Gegenprogramm zum Hochglanz-Leben von Bette, Alice & Co.: So viele Normalo-Lesben, butchige, queere und trans Charaktere waren dort nicht mal in allen sieben Staffeln zusammengerechnet im Hintergrund zu sehen.
„Eine dicke, grauhaarige, maskuline Dyke in der Hauptrolle“
„Dass sie einer dicken, grauhaarigen, maskulinen Dyke die Hauptrolle geben, ist toll“, freute sich denn auch Work in Progress-Schöpferin und Hauptdarstellerin Abby McEnany in einem Interview. „Meine Welt in Chicago ist voller echter Queers, die man normalerweise nicht in einer Fernsehserie sieht.“
McEnany spielt Abby, eine Butch-Lesbe Mitte 40 mit langweiligem Großraumbüro-Job, die sich mit Gewichtsproblemen, Zwangsstörungen, Panikattacken, Selbsthass und Depressionen plagt und auch für ihr Umfeld nicht gerade unanstrengend ist.
Als wir sie kennen lernen, hat sie gerade beschlossen, sich noch 180 Tage zu geben und dann zu entscheiden, ob sie sich umbringt. Die Szene, in der sie das ihrer Psychotherapeutin erzählt, setzt auch gleich den tragikomischen Ton der Dramedy: Es dauert eine gute Weile, bis Abby merkt, dass die arme Frau während ihrer Sitzung gestorben ist (in ihrem Freundeskreis beschert ihr das fortan den Ruf der „Therapeuten-Mörderin“).
Der charmante Chris macht eigentlich alles richtig
Kurz darauf verliebt sich Abby in den jungen trans Mann Chris (Theo Germaine, bekannt aus der Netflix-Serie The Politician), aber selbst dieses glückliche Zwischenhoch mit Chris, der charmant ist und eigentlich alles richtig macht, bringt sie nicht von ihrem suizidalen Ziel ab. Und bald setzt auch das destruktive Verhalten ein, das schon ihre frühere Beziehung mit Melanie (Echaka Agba) – in Rückblenden zu sehen - belastete.
Trotz des 180-Tage-Countdowns fehlt in Work in Progress ein klassischer Spannungsbogen, ähnlich wie in Fleabag und Better Things, die ihre weiblichen Hauptfiguren ebenfalls in - wenn auch manchmal absurd-schrägen - Alltagssituationen ohne künstliche Zuspitzung zeigen.
Sex, Körperbilder und Gendernonkomformität
Wir begleiten Abby bei ihren Dates mit Chris und Verabredungen mit ihrer Hetero-Schwester (Karin Anglin) und ihrer besten Freundin Campbell (Celeste Pechous). Abby lernt Chris‘ hippen trans-queeren Freundeskreis kennen und Chris ihre mittelalten lesbischen Freundinnen.
Eine Folge erzählt von Abbys und Chris‘ Vorfreude auf ihren ersten Sex und zeigt dann – ein echtes Novum im Fernsehen! – eine 3-minütige Sexszene komplett im Dunkeln, eine ganze Episode widmet sich Abbys Problem damit, auf öffentlichen Toiletten ständig für einen Mann gehalten zu werden, und um Körperbilder und Gendernonkomformität geht's auch in mehreren Konfrontationen mit Comedian Julia Sweeney, mit deren (in den 90er Jahren sehr bekannten) Figur „Pat“ Abby zu ihrem Leidwesen oft verglichen wurde - deren Witz bestand nämlich nur darin, dass niemand wusste, ob „Pat“ ein Mann oder eine Frau war.
Den Trailer gibt's leider nur in der englischen Originalversion:
Staffel 2 wurde bereits bestellt
Kaum ein Thema ist für die lebenslange Lesbe und ihr Umfeld hingegen, dass Chris trans ist - nur Campbell reagiert anfangs, aber eher aus allgemeinem Beschützerinstinkt heraus, skeptisch -, am Ende der Staffel spielt es aber eine nicht undramatische Rolle. Hier rückt dann Chris erstmals stärker in den Fokus, und doch erlebt man ihn weitgehend nur aus Abbys Sicht, sodass seine Motivation unklar bleibt - „Er mag Projekte“, sagt ein_e Freund_in einmal wenig schmeichelhaft einmal in Richtung Abby - und man kaum etwas über sein Leben jenseits dieser Beziehung erfährt.
Vielleicht erzählt Staffel 2 hier mehr: In den nächsten Monaten wird die Fortsetzung mit zehn neuen Folgen gedreht.
Trans Regisseurin Lilly Wachowski ist Ko-Produzentin
McEnany, die in Chicago aus Impro-Comedy-Shows bekannt ist und Work in Progress mit Julia Sweeney und trans Regisseurin Lilly Wachowski (Bound, Sense8) produzierte, basierte Work in Progress übrigens auf ihrem eigenen Leben und der Beziehung, die sie vor einigen Jahren mit einem jungen trans Mann hatte – seitdem bezeichnet sie sich nicht mehr als „Lesbe“, sondern als „queer dyke“.
Wieso Sky uns immer noch auf The L Word: Generation Q warten lässt, bleibt ihr Geheimnis, aber wer sich gerne auf eine etwas andere Lesbenserie einlassen will, kann mit Work in Progress die Wartezeit gut überbrücken.
Ab 18. Februar läuft die erste Staffel von Work in Progress in vier Doppelfolgen bei Sky Atlantic (Di, 20:15 Uhr) und steht parallel beim Streamingdienst Sky Ticket (Probemonat: 4,99 Euro).
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