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Filmtipp „Hedda“: Liebe, Lebensmodelle und lesbische Leidenschaft

„Hedda“ erzählt Ibsens Klassiker „Hedda Gabler“ neu und lässt dabei eine explizit lesbische Spannung entstehen: Aus dem Ex-Geliebten der Titelfigur wird eine Frau. Das queere Drama mit Tessa Thompson und Nina Hoss steht jetzt bei Prime Video.

Amazon Prime Video Tessa Thompson, Nina Hoss und Imogen Poots in „Hedda“

Von Sarah Stutte

30.10.2025 - Mit «Hedda» wagt Regisseurin Nia DaCosta eine ebenso stilbewusste wie subversive Neuinterpretation von Henrik Ibsens Theaterstück «Hedda Gabler». Ihr Film verlegt das Drama vom Ende des 19. Jahrhunderts in das England der 1950er-Jahre – eine Welt aus Zigarettenrauch, Seidenkleidern und gesellschaftlicher Enge. Hinter der glänzenden Fassade lodert ein leises, stetiges Feuer: das Verlangen nach Freiheit.

Tessa Thompson («Thor») verkörpert Hedda als Frau, die alles hat und dennoch nichts besitzt – eine Figur von betörender Selbstkontrolle, innerlich zerrissen zwischen Begehren und Abscheu. Ihr Gatte George (Tom Bateman) träumt vom gesellschaftlichen Aufstieg, während Hedda längst ahnt, dass Erfolg keinen Ausweg bietet.

Nia DaCosta sagte bei der Europapremiere in Zürich, sie sei «in die Geschichte hineingesprungen, weil ich diese Figur so erstaunlich fand – eine Frau, die um ihre Freiheit kämpft». Sie wollte «weitere Frauen in die Geschichte holen, um Heddas inneren Kampf sichtbar zu machen».

Eine explizit lesbische Spannung...

Damit setzt sie dort an, wo Ibsen Raum für Andeutung ließ: in der intensiven, ambivalenten Beziehung zwischen Hedda und Eilert Lövborg. Im Film wird daraus Eileen Lövborg, gespielt von Nina Hoss («Tar» - L-MAG-Filmkritik) – und damit eine explizit lesbische Spannung, die im Original nur als subtiles Flirren existierte.

Neu hinzu kommt Thea (Imogen Poots). Aus der schüchternen Verehrerin Lövborgs wird eine klare Gegenspielerin Heddas: mutig im Begehren, kompromisslos in der Loyalität zu Eileen. Zwischen den Frauen entsteht ein stiller Machtkampf. Hedda erkennt in Thea eine bedrohlich freie Alternative zu sich selbst – jemanden, der wagt, was sie sich verbietet. So wird Thea zur Konkurrentin um Liebe, aber auch um Lebensmodelle.

Auch wenn der Trailer im englischen Original ist: den Film gibt's in einer deutschen Synchronfassung oder mit Untertiteln.

Heddas Begehren richtet sich nach Freiheit und Frauen

Was Ibsen 1891 nur umkreisen konnte, spricht der Film mit sinnlicher Klarheit aus: Heddas Begehren richtet sich nicht nur nach Freiheit, sondern nach Frauen. Ihre Beziehung zu Eileen oszilliert zwischen Manipulation und Hingabe. Die Szenen zwischen Thompson und Hoss vibrieren vor unterdrückter Leidenschaft – Intimität, die zugleich befreiend und zerstörerisch wirkt. Und Thea ist jene Präsenz, die Heddas sorgfältige Kontrolle ins Wanken bringt.

DaCosta bleibt Ibsens Geist durch die Zuspitzung von Heddas Konflikten treu. Schon die originale Figur sehnte sich nach Erfahrung, Gefahr und Grenzüberschreitung in einer Welt, die dafür kein Vokabular hatte. DaCosta macht aus der «unbegreiflichen Frau» des 19. Jahrhunderts eine queere Figur, die sich weigert, sich definieren zu lassen.

Alles glänzt - bis die Oberfläche reißt

Die Regisseurin schrieb die Rolle ausdrücklich für Thompson (mit der sie schon «The Marvels» drehte): «Ich wusste, sie ist Hedda – eine schwarze Frau in einer weißen Gesellschaft.» Diese Perspektive verleiht dem Film zusätzliche Tiefe: Hedda wird zur Spiegelung von Macht, Begehren und Erwartungen.

Auch die Musik erzählt von Befreiung. Komponistin Hildur Guðnadóttir setzt auf Intuition, Perkussion und Stimmen – ein Klang, der durch die Szenen pulsiert wie ein lebendiger Atem. Für «Hedda» wollte Guðnadóttir «Energie und Vorwärtsbewegung schaffen, ein Gefühl von Freude und kreativer Spannung». Visuell schillert «Hedda» zwischen Eleganz und Exzess. Sean Bobbitts Kamera spiegelt die Zerrissenheit der Heldin in Glas, Gold und Schatten. Alles glänzt – bis die Oberfläche reißt.

Wie bei Ibsen bleibt die Frage: Was geschieht mit einer Frau, die lebt, liebt und denkt, wie sie will? DaCostas Antwort ist leidenschaftlich und kompromisslos. «Hedda» ist kein Kostümdrama, sondern ein queeres, fiebriges Psychogramm – ein Manifest weiblicher Selbstbestimmung.

Hedda, USA 2025, Regie/ Drehbuch: Nia DaCosta, mit Tessa Thompson, Nina Hoss, Nicholas Pinnock, Imogen Poots, 107 Min., seit 29.10.2025 bei Amazon Prime Video

 

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