Von Modena bis Budapest: Queere Aktivist:innen
Beim Kongress der EuroCentralAsian Lesbian* Community (ELC*) kamen im Mai in Rom 750 Lesben aus 55 Ländern zusammen. L-MAG-Autorin Annabelle Georgen war dabei und hat mit vielen Aktivist:innen gesprochen. Wir stellen vier von ihnen vor.

Dieser Artikel erschien in einer gekürzten Fassung in der L-MAG-Ausgabe 4-2025
Von Annabelle Georgen
Zhanar Sekerbayeva (Kazakhstan): „Sie entschieden, mich zu isolieren“
Zhanar Sekerbayeva hat 2014 die kasachische Initiative Feminita mitbegründet. Als lesbische Aktivistin in Kazakhstan geht sie viele Risiken ein. Ende Februar wurde sie festgenommen und musste zehn Tage im Gefängnis verbringen. „Die lokale Regierung entschied, mich zu isolieren. Sie hatten Angst, dass ich eine Demo zum 8. März mit Feminita organisiere. Ich wurde angeklagt, weil ich das Jahr davor an einer Demonstration gegen Femizide teilnahm“, erzählt Zhanar.
Im Alltag fühlt sie sich in ihrer Stadt Almaty sicher genug, um auf der Straße mit ihrer Freundin Hand in Hand zu gehen. Sobald es aber vom Privaten ins Politische geht, fangen die Probleme an. Egal ob Demo, Versammlung oder Konferenz: alles wird zurückgedrängt. Die EL*C-Konferenz 2024 sollte eigentlich in Kazakhstan stattfinden und musste kurzfristig aus Sicherheitsgründen abgesagt werden.
Seit einigen Jahren beschäftigt sich Zhanar zunehmend mit Ökofeminismus. Sie kritisiert den Neokolonialismus, dem ihr Land zum Opfer falle. „Zur Zeit der Sowjetunion wurden bis 1990 rund 500 Bomben auf dem Atomwaffentestgelände Semipalatinsk getestet. 1,2 Millionen Leute sind davon krank geworden. Die genetischen Krankheiten, die sie entwickelt haben, werden von Generation zu Generation weiter getragen“, ist die Aktivistin überzeugt. „Nun will unser Präsident große internationale Nuklearstationen errichten lassen. Es ist ermüdend, dabei zuzuschauen, wie unser Land als Testzone oder als Nukleargrabstätte ausgenutzt wird. Warum ziehen wir keine Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit?“
Aïda Yancy (Belgien): „Queere Kollektive sind oft nicht divers genug“
Aïda Yancys Thema ist Intersektionalität. Als Schwarze Lesbe spricht sie auf Konferenzen und Panels oft über Rassismus, Sexismus, Lesbo- und Queerphobie. Daneben gibt sie antirassistische Workshops. „Ich raune ins Ohr der Weißen“, fasst sie ihre Arbeit zusammen.
Die Aktivistin aus Brüssel macht auch lesbische Advocacy-Arbeit bei Institutionen wie dem Europarat und der NATO. „In letzter Zeit habe ich das Gefühl, ein Imperium zusammenbrechen zu sehen. Die Dinge ändern sich gerade sehr schnell weltweit, aber nicht in die gute Richtung“, sagt sie. Das Positive aber sei: „Seit die Rechtsextremen in Brüssel sitzen, sprießen Lesbenkollektive wie Pilze aus dem Boden.“ (Anm. d. Red.: Belgien hat seit diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte des Landes einen flämischen nationalistischen Ministerpräsidenten,)
Dazu gehört der erste Dyke* March dieses Jahr in Brüssel. „Es gibt eine Aufbruchstimmung in der belgischen lesbischen Szene, die jahrelang ruhig war“, freut sich Aïda. Aber sie findet auch kritische Worte. Sie bedauert, dass queere und Lesbenkollektive oft nicht divers genug sind: „Sie ziehen Leute an, die ähnlich sind. Lesben, die einer anderen Minderheit angehören, werden oft eingeladen, um zu zeigen, dass man super ist, oder einfach weil es auf den Bildern gut aussieht. Das Problem ist, dass wenige Kollektive in der Tat bereit sind, Platz für diese Leuten zu schaffen. Nicht selten hört man, dass man ,ein anderes Mal über Rassismus sprechen wird‘.“
Dorottya Rédai (Ungarn): „Wir werden nicht zurückweichen“
Dorottya Rédai ist ein bekanntes Gesicht in Ungarn. Sie ist die Leiterin von Labrisz, dem größten lesbischen Verein des Landes, den es seit 1999 gibt. Der Verein veranstaltet Diskussionsabende, die „Labrisz evenings“, lesbische Pilgerreisen, Filmabende und Festivals. Er verfügt außerdem über ein Archiv zur Geschichte des lesbischen Aktivismus in Ungarn.
„Wir produzieren auch Filme und veröffentlichen Bücher“, erzählt Dorottya. 2020 hat sie das inklusive Kinderbuch „A Fairy Tale for Everyone“ herausgebracht und dutzende Interviews dazu gegeben. Das Buch wurde international gefeiert und in elf Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. In Ungarn wurde es hingegen in gewissen Kreisen zu einem Skandal gemacht. „Als das Buch veröffentlicht wurde, veranstaltete eine rechtsextreme Politikerin, die es nicht gelesen hatte, eine gewalttätige Performance für die Medien: Sie schredderte das Buch, weil es angeblich ,nicht Teil der ungarischen Kultur‘ sei“, erzählt Dorottya. „Damit hat sie aber viel Werbung für uns gemacht. Wir haben 35.000 Exemplare auf Ungarisch verkauft und es wurde zum Bestseller auf dem Kinderbuchmarkt.“
Der rechte Ministerpräsident Viktor Orbán hatte dieses Jahr den Budapest Pride verboten (wir berichteten). Wie viele andere Queers wollten Dorottya und die Mitglieder von Labrisz trotzdem demonstrieren. „Alle LGBTIQ*-Organisationen des Landes sind sich einig: Wir werden nicht zurückweichen“, erklärte Dorottya gegenüber L-MAG im Vorfeld des Pride. „Ein Widerstand entsteht gerade und diese Pride könnte die größte werden, die wir je hatten.“ Sie sollte Recht bekommen: mehr als 300.000 Menschen gingen zur Budapest Pride am 28. Juni auf die Straße.
Eva Sassi Groce (Italien): „Die Faschist:innen sind wieder an der Macht“
Eva Sassi Croce bezeichnet sich selbst als „ARTivist“. 2024 hat die Performance-Künstlerin und Aktivistin eine „Trans*Europe Divide Tour“ gemacht: Fast vier Monate lang ist sie durch Europa geradelt, von Norwegen bis nach Malta. Auf jeder Station ihrer Reise, abseits der großen Städte, hat sie eine Aufklärungskampagne über geschlechtsspezifische Gewalt geführt.
Die trans und bi Aktivistin, die sich auch als „politische Lesbe“ definiert, legt dabei den Fokus auf die Akzeptanz von trans und nicht binären Personen. Eva engagiert sich ausserdem bei der feministischen Bewegung „Non Una di Meno“ (deutsch: „Keine einzige weniger“), die Gewalt gegen Frauen bekämpft.
Eva wohnt in Modena, einer bürgerlichen Stadt Norditaliens, die mit der Luxus-Autoindustrie reich geworden ist. „Bei uns gibt es eine starke katholische Mentalität“, erzählt sie. 2023 beteten Abtreibungsgegner:innen tagelang vor einem Krankenhaus der Stadt. „Das ist ein italienisches Problem. Es gibt bei uns einen totalen Mangel an Trennung von Kirche und Staat – im Gegensatz zu Spanien, das trotzdem auch stark katholisch ist.“
Ein weiteres Problem sei die aktuelle politische Lage: „Die Faschist:innen sind wieder an der Macht“, sagt Eva besorgt. Für die 2022 gebildete rechtsextreme Regierung von Georgia Meloni ist die queere Community ein Sündenbock. Frauen- und LGBTIQ*-Rechte wurden in den letzten Jahren stark eingeschränkt. Zum Beispiel beharrt die Regierung Melonis darauf, dass bei Regenbogenfamilien nur der leibliche Elternteil anerkannt werden solle. Ein Lichtblick: Im Mai entschied das Oberste Gericht Italiens, dass gleichgeschlechtliche weibliche Paare, die im Ausland eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) gemacht haben, rechtlich anerkannt werden können.

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