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Warum das „L“ bei LGBTIQ* ganz vorne steht

Das große „L“: Im Kürzel LGBTIQ* steht der Buchstabe für „Lesben“ oder „lesbisch“ ganz vorne - wie kam es dazu? Wir haben uns auf die Suche gemacht.

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Erschienen in der L-MAG-Ausgabe 4-2025 (Jul./ Aug.)


Von Coco Saal

Was Queerness bedeutet, verändert sich ständig. Das wird an der sich wandelnden Pride-Flagge genauso deutlich wie an den vielfältigen Begriffen, mit denen wir Geschlechtsidentität und Sexualität beschreiben. Auch das Akronym LGBTIQ* ist über die Jahre oft verändert worden.

Schon vor den New Yorker Stonewall-Protesten vom 28. Juni 1969 hatte es Widerstand aus der queeren Community gegen diskriminierende Gesetze und Polizeigewalt gegeben. Doch die Ereignisse von Stonewall wirkten wie ein Katalysator: Der Protest queerer Menschen hielt mehrere Tage an, Hunderte beteiligten sich mit ihrer Wut und dem Wunsch nach Veränderung. In der Folge gründeten sich mehrere queere Bewegungen und der „Christopher Street Day“ (kurz CSD) wurde etabliert: immer am Jahrestag von Stonewall, zunächst, 1967, in New York, Chicago, San Francisco und Los Angeles, später in der ganzen Welt.

Von „gaylesbian“ und GLB zu LGB

Die Schwulen- und die Lesbenbewegung, letztere eng mit der Frauenbewegung verbunden, begannen zusammenzuarbeiten. Die Forderung nach einer Selbstbezeichnung wurde laut. Doch „gay and lesbian“ oder „gaylesbian“ reichte bald schon nicht mehr aus, da sich in den 1970er-Jahren die bisexuelle Community emanzipierte. Wegen der Langatmigkeit der Bezeichnung „Gay, lesbian and bisexual“ kam in der englischsprachigen Welt bald die Abkürzung GLB auf – beziehungsweise LGB.

Das neue Akronym setzte sich in aktivistischen Gruppen schnell durch. Auch andere queere Institutionen übernahmen es, wobei das „L“ in den Selbstbezeichnungen immer öfters nach vorne wanderte. Wie es dazu kam, dazu gibt es unterschiedliche Theorien.

Lesben helfen schwulen Männern in der Aids-Krise

Eine weitverbreitete besagt, dass sich durch die erstarkende Frauenbewegung sowie durch Ideen aus Queer-Theorie und Genderforschung, auch in queeren Kreisen ein Bewusstsein für die doppelte Diskriminierung von Lesben entwickelte. Um symbolisch mehr Raum und Präsenz für sie zu schaffen, sollte das „L“ auf den ersten Platz.

Eine zweite Theorie besagt, dass so der Einsatz lesbischer Frauen während der Aids-Krise gewürdigt werden sollte. Lesben übernahmen eine zentrale Rolle in der Pandemie. Sie übernahmen vielfach die Pflege von an Aids erkrankten schwulen Männern, spendeten Blut, was Schwulen untersagt war, und führten den Protest für eine bessere Versorgung in Washington an. Diese Theorie geht maßgeblich auf einen Onlineartikel von Elizabeth Drescher aus dem Jahr 2016 zurück, der bei Medium veröffentlicht wurde. Darin heißt es: „Da so viele schwule Männer durch HIV/AIDS an den Rand gedrängt wurden, übernahmen Frauen mehr Führungsrollen in den LGBT Gemeinschaften.“

Nur ein sprachlicher Zufall?

Andere Stimmen sehen nicht genügend Belege für diese These, um das „große L“ zu erklären, und berufen sich auf eine dritte Version: Das Kürzel LGB habe sich aus dem simplen Grund etabliert, da es leichter von der Lippe gehe als GLB. Zwei Theorien räumen demnach Diskriminierungserfahrungen und den Errungenschaften von Lesben einen sichtbaren Platz ein, während die letzte Version das „große L“ auf einen sprachlichen Zufall reduziert.

Vermutlich liegt in jedem der Erklärungsversuche ein Stückchen Wahrheit. Fest steht: Um die Frage abschließend beantworten zu können, bräuchte es mehr historische Forschung zu dem Thema.

„Two Spirits“ und neue Buchstaben

LGBTIQA*+… Im Lauf der Zeit hat sich das Kürzel erweitert und schließt immer mehr Gruppen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten ein. Das „L“ blieb dabei stets am Anfang. Mancherorts scheint sich das aber gerade zu ändern: In Kanada wurde das LGBTIQ*-Akronym um die Buchstaben-Zahlen-Kombi 2S erweitert – als Folge des Aktionsplans „Building our future with pride“ (deutsch: „Unsere Zukunft mit Stolz erbauen“). Der ruft Organisationen und Regierungsvertreter: innen dazu auf, queere Rechte und Gleichberechtigung auf allen Ebenen zu gewähren.

2S steht für „Two Spirit“ oder auf Deutsch „Zweigeist“. Die Voranstellung im Kürzel 2SLGBTIQA* verweist auf „Two-Spirits“ als frühe historisch belegte queere Community der First Nations. Der Begriff stammt von den Ojibwe, der größten indigenen Bevölkerungsgruppe Nordamerikas, und lautet im Original „Niizh Manitoag“. Er bezeichnet eine Person, die sowohl weibliche als auch männliche Eigenschaften in sich trägt. 1990 wurde die Übersetzung „Two Spirit“ bei der dritten stammesübergreifenden Konferenz schwuler und lesbischer indigener Amerikaner:innen bei Winnipeg eingeführt. 2S soll daran erinnern, dass sexuelle und Genderfluidität bei vielen indigenen Völkern Nordamerikas weitverbreitet waren, bevor es 1492 zur europäischen Invasion und damit zum Zwang der heterosexuellen Monogamie kam.

 

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