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Angelina Maccarone: „Oft höre ich: Wir hatten doch gerade erst einen Film mit lesbischer Hauptfigur“

Angelina Maccarone, eine der wichtigsten Filmemacherinnen des modernen queeren Kinos und frisch gebackene Preisträgerin des Pink Apple Awards, sprach mit L-MAG über ihre Filme und die bis heute fehlende Diversität auf Bildschirm und Leinwand.

Pink Apple Festival

Von Sarah Stutte

4.5.2022 - Am vergangenen Wochenende wurde die Berliner Drehbuchautorin und Regisseurin Angelina Maccarone in Zürich mit dem Pink Apple Award ausgezeichnet. Damit ehrt das Festival jährlich Filmschaffende, die sich um das queere Kino verdient gemacht haben. In ihrem Fall trifft das unbedingt zu. Sie schrieb mit ihrem lesbischen Fernsehfilm-Debüt Kommt Mausi raus?! 1995 ein Stück queere TV-Geschichte und schuf auch in der Folge immer wieder Figuren, die bis dato im deutschen Fernsehen unsichtbar waren. Im Interview mit L-MAG erzählt sie, dass sie nach wie vor das Bewusstsein für natürliche Diversität vermisst und sich mehr greifbare Lebensrealität wünscht.

 

Wie bist du zum Film gekommen oder der Film zu dir?

Indem ich mir viel angeschaut habe. Ich war nicht auf einer Filmhochschule, sondern habe mich über das Schreiben an die Form angenähert. Mitte der 80er-Jahre studierte ich in Hamburg Literaturwissenschaften, Germanistik und Amerikanistik. Zu dieser Zeit rief die städtische Kulturbehörde einen einmaligen Wettbewerb aus, der hiess „Schritt für Schritt zum Skript“. Als ich davon erfuhr, schrieb ich das Treatment zu einer Idee auf, die ich in Film und Fernsehen vermisst habe und dort gerne sehen wollte. Das war damals Kommt Mausi raus?!. Damit habe ich gewonnen und in der Folge wurde der Film vom NDR finanziert.

Was fasziniert dich am Filmemachen?

Es ist ein tolles Übungsfeld für das Leben. Ich habe die Möglichkeit, gemeinsam mit einem Team die Tiefe von Emotionen auf verschiedenen Ebenen auszuloten. Manchmal können diese im wahren Leben beängstigend sein: Trauer oder Angst. Aber auch die Frage danach, was Liebe eigentlich bedeutet. Ich lande irgendwie immer wieder bei diesen grundsätzlichen Gefühlen, weil das etwas ist, was wir alle teilen. Das ist das Wurzelwerk, in dem wir alle verbunden sind. Ein Drehbuch ist so etwas wie die Startrampe für ein Abheben in eine physische Realität. In der Arbeit mit Schauspieler:innen sehe ich, welche Choreografie die Erzählung oder die jeweilige Szene bietet. Welche Bewegungen das verlangt, was an Hinwendung und Abstand. Das finde ich wahnsinnig interessant, weil dadurch eine Realität entsteht, die auch, wenn sie nur gespielt ist, eine Wirkung entfaltet. Ich muss mir überlegen, wie und mit welchen Mitteln ich etwas transportieren will, das sich auf der Leinwand sinnlich anfühlt.

Salzgeber Kati (Julia Richter, r.) und Yumiko (Alexandra Wilcke) in „Kommt Mausi raus?!“

Kommt Mausi raus?! war damals mein Coming Out-Film. Wie viel von deinen eigenen Erfahrungen steckte in deinem Debüt?

Kommt Mausi raus?! ist schon autobiografisch. Ich kam aus einer Kleinstadt nach Hamburg und fühlte mich da mehr zu Hause, beispielsweise im kulturellen Angebot. Mit hinein floss auch der Gedanke, dass wir, wenn wir nicht in diese Hetero-Normativität passen, immer noch zu einem Coming Out gezwungen sind. Das fand ich absurd und es hat mich genervt. Ich hätte mich ja auch nicht vor meine Eltern hinstellen müssen, um ihnen zu sagen, dass ich jetzt mit einem Mann zusammen bin. Bei der Entwicklung zu Kommt Mausi raus?! fragte mich mal jemand von einem Sender nach dem inneren Konflikt der Hauptfigur. Diese müsste doch ein Problem damit haben, dass sie lesbisch ist. Ich meinte daraufhin, dass das Problem die Absurdität ist, dass das überhaupt ein Problem sein soll. Sie hat das nicht verstanden und das Projekt deswegen abgelehnt.

Und was hat dich drei Jahre später zu Alles wird gut (ARD, 1998) inspiriert?

Das Skript schrieb ich zusammen mit Fatima El-Tayeb. Als Schwarze Deutsche in Hamburg sah sie sich oft mit Rassismus konfrontiert. Mich hat die Ignoranz gegenüber dieser ganzen Thematik aufgeregt. Manche Menschen waren sich nicht einmal bewusst, dass eine Äusserung wie „Sie sprechen aber gut Deutsch“ rassistisch ist und kein Kompliment. Eigentlich wollte ich schon bei Mausi eine Figur Schwarz besetzen, weil diese deutsch-weiße Welt in Film und Fernsehen damals noch krasser war als jetzt. Die Produktion stellte sich aber dagegen, da es doch nirgends explizit im Drehbuch stand. Da stand genauso wenig etwas von „weiß“... Der Kompromiss war Yumiko, eine japanisch-deutsche Figur. Alles wird gut war also so etwas wie meine persönliche Rache. Wir wollten einen lustigen Film machen über ganz normale Menschen, die so sind wie wir.

Fremde Haut von 2005 war sicher auch nicht leicht umzusetzen. Eine iranische Lesbe, die in Deutschland politisches Asyl sucht und deshalb in die Rolle eines Mannes schlüpfen muss – zu viel für das damalige deutsche TV-Gemüt?

Genau. Der Tenor war: Als Iranerin muss sie ja nicht noch unbedingt lesbisch sein. Aus diesem Grund fanden wir leider keinen Sender für die Geschichte. Das Stichwort Intersektionalität war damals noch nicht „en vogue“. Dass die Identität eines Menschen vielfältig ist und nicht alles unbedingt Hauptthema werden muss, wenn jemand sich irgendwie von dem unterscheidet, was als Mehrheit gilt. Zu hoffen ist, dass sich der Blick im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung geweitet hat. Alles wird gut wurde beispielsweise nur einmal im Fernsehen gesendet. Ich warte seit Jahren auf eine Wiederholung.

Ist es heute schwieriger oder leichter, Filme mit lesbischen Inhalten zu machen?

Ich wünsche mir generell mehr Diversität in den Figuren, ohne dass das immer gleich so herausgestellt wird. Deshalb fand ich die Kampagne #ActOut auch so wichtig. Ich empfinde die Diskussion darüber noch als sehr schleppend. Oft höre ich: Wir hatten doch gerade erst einen Film mit einer lesbischen Hauptfigur. Na und? Es liefen auch gerade ganz viele Filme mit heterosexuellen Charakteren. Wenn der Film eine Thematik berührt, die uns alle in unserer Generation beschäftigt, beispielsweise wie wir mit unseren alten Eltern umgehen, dann kann die Hauptfigur doch auch schwul, lesbisch oder was auch immer sein. Kino ist für mich ein Raum, der unser Leben spiegelt. Bleibt es zu allgemein, ist es uninteressant. Es geht doch darum, an das Spezifische heranzukommen.

Pink Apple Filmfestival Fariba (Jasmin Tabatabai, r.) und Anne (Anneke Kim Sarnau) in „Fremde Haut“ (steht beim Streamingdienst Sooner)

Mit deinem Skript zu Klandestine hast du 2017 den Filmpreis Goldene Lola für das beste unverfilmte Drehbuch gewonnen. Wie steht es um dieses Projekt?

Vor wenigen Tagen habe ich die Nachricht bekommen, dass die Finanzierung nun endlich abgeschlossen ist. Nach fünf Jahren. Wenn alles gut läuft und das hoffe ich jetzt einfach mal, sollte der Film im nächsten Jahr endlich in die Kinos kommen. Die Geschichte wird nicht chronologisch, sondern aus vier verschiedenen Blickwinkeln im selben Zeitraum erzählt. Über die Figuren bilden sich beim Zuschauen dadurch bestimmte Meinungen, bis sich die Perspektive dann verschiebt und die Gründe für die Handlungen einer Person aus ihrer Sicht erkennbar werden. Mit dieser Form möchte ich die Vielschichtigkeit der Sichtweisen aufzeigen. Es gibt nicht nur die eine Wahrheit, sondern verschiedene. Ich glaube, dass es gut wäre, hinter unsere jeweiligen Vorurteile zu schauen und wirklich miteinander in Kontakt zu treten.

Das Pink Apple Festival findet noch bis zum 5. Mai in Zürich und vom 6.-8. Mai in Frauenfeld statt. Am 7. Mai (15 Uhr) gibt's im Züricher Kino Filmpodium noch ein Screening von Alles wird gut

 

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