Feministischer Punk aus Belarus: „Die Freiheit gehört uns!“
„Was wir brauchen, ist Solidarität“, sagt Lizzie von der feministischen Punkband Messed Up aus Belarus. L-MAG sprach mit den sympathischen Musikerinnen über die Krisenlage in ihrer Heimat, die Situation von LGBT und die Inspirationen für ihre Musik.
Von Manuela Kay
27.8.2020 - Als im letzten Jahr die feministische Riot-Grrrl-Punkband Messed Up durch Deutschland tourte, war L-MAG beeindruckt von der kraftvollen Musik der politisch engagierten Frauen aus Grodno in Belarus, bekannterweise eine Diktatur mitten in Europa. Gerade deshalb ist es für sie extrem mutig, als junge Musikerinnen Punkrock mit politischen Texten zu machen.
Im August 2020 fanden in Belarus (früher Weißrussland genannt) viel beachtete Wahlen statt, denn erstmals brachte sich eine Opposition um Swetlana Tichanowskaja auch international ins Gespräch. Diktator Alexander Lukaschenko, seit 1994 im Präsidentenamt, behauptete jedoch erneut, die Wahlen gewonnen zu haben. Seitdem toben Proteste und Straßenkämpfe im ganzen Land. Deshalb fragte L-MAG bei Lizzie (Gitarre), Masha (Bass) und Nastya (Gesang) nach der aktuellen Lage.
L-MAG: Gibt es denn nun aus Anlass der Proteste nach den Wahlen neue Hoffnung, dass sich im Land etwas ändert?
Lizzie: Dies ist nicht das erste Mal, dass Menschen demonstrieren. Nach jeder Wahl, alle fünf Jahre, kommen Tausende im ganzen Land zusammen, um ihren Widerstand gegen die gefälschten Ergebnisse zu zeigen. Aber dieses Mal sind die Leute wütender geworden, denn so viel unverhohlenen Spott, Schikane, Betrug und Fälschung von Seiten der Regierung – das können die Menschen nicht verzeihen. Es ist sehr schwierig, Vorhersagen zu treffen, besonders jetzt, wo das Land brennt und wir von der Bereitschaftspolizei brutal geschlagen werden. Wer wird gewinnen, die Macht des Vol-kes oder der Schlagstock? Lasst uns das Beste hoffen!
Habt ihr die Opposition vor der Wahl unterstützt? Und wie ist die Reaktion der Regierungskritiker jetzt? Können die Proteste aufrecht erhalten werden?
Lizzie: Alle, die gegen Lukaschenko sind, sind ein Team, ein Volk. Das wurde während des Wahlkampfs deutlich, nachdem die Wahlkommission dem stärksten Rivalen von Lukaschenko die Registrierung verweigerte und ihm damit Hunderttausende von Stimmen stahl. Drei Kandidaten-Hauptquartiere vereinigten sich zu einem und darin bestand die Chance, die Ära der Diktatur zu beenden, indem man für Swetlana Tichanowskaja stimmte, die als Ersatz-Kandidatin auftrat. Im Falle ihres Sieges versprach Swetlana, eine neue und faire Präsidentschaftswahl abzuhalten und alle politischen Gefangenen freizulassen. Was uns betrifft, klar, wir betrachten uns als Opposition, denn wir haben keine Oppositionsparteien, es gibt nur eine Partei im Land – die von Lukaschenko, alle anderen sind illegal. Deshalb muss sich das Volk organisieren, was wir jetzt tun.
Wo findet ihr als Musikerinnen eure Inspiration?
Lizzie: Wir finden sie nicht – wir leben so! Unser nicht gerade einfaches und sogar ausgesprochen brutales Leben inspiriert uns sehr, wir wollen unsere Botschaft verbreiten, dabei über imaginäre Grenzen hinausgehen und unsere Musik mit der ganzen Welt teilen. Wir sind mit der alten Grodno-Punk-Schule und ihren politischen Botschaften aufgewachsen.
Mascha: Ich persönlich schöpfe meine Inspiration aus den Problemen um mich herum, aus der Situation in der Gesellschaft, im Land, in der Welt. Wir leben in Belarus, und diese Realität wirkt sich auf unsere Lieder aus. Wir sind wütend und wir sind rebellisch wegen dem, was in unserem Land und in der Welt geschieht.
Ihr seht aus wie echte Rockstars, wild und punkig. In Belarus seid ihr damit sicher sehr auffällig. Hattet ihr jemals Probleme oder wurdet verhaftet?
Lizzie: Natürlich, wir sind eine ziemlich attraktive Band und eher ungewöhnlich. Aber die Leute interessieren sich nicht so sehr für uns. Die belarussische Bevölkerung ist es nicht gewohnt, Protestmusik zu hören. Deshalb sind Punks wie wir oder andere Aktivisten in unserem Land einzigartig. Wir haben keine direkten Probleme mit der Polizei, aber von Zeit zu Zeit versuchen Polizisten, in unsere Shows hineinzukommen.
Masha: Bisher ist das nicht passiert, da hatten wir großes Glück. Obwohl ich mich wirklich jeden Tag auf das Schlimmste vorbereite.
Nastya: Ich bin schon verhaftet worden, weil ich bei Rot über die Straße gegangen bin und auf der Straße Alkohol getrunken habe.
Ihr singt hauptsächlich auf Russisch, so dass eure Texte in eurer Heimat verständlich sind. Könnt ihr dort überhaupt live spielen? Und wie reagieren dann die Leute?
Masha: Wir spielen in unserem Land, im Grunde sind es zwischen zwei und vier Konzerte pro Jahr. Ich glaube, es gibt keine „besondere“ Reaktion. Genau genommen ist es an den Orten, wo wir spielen, schon ein großer Erfolg, das Mikrofon so einzustellen, dass die Worte gehört und verstanden werden.
Wie sieht euer Alltag in einer Diktatur mit nur wenig Freiheit und Zensur aus – vor allem als Künstlerinnen, Feministinnen und politische Menschen?
Lizzie: Außer zum Punkrock bekennen wir uns auch zum Feminismus. Feministin zu sein ist in Belarus nicht gefährlich. Wir machen keine Flugblätter für Demos oder andere illegale Sachen. Trotzdem sind wir in der Realität mit gesellschaftlicher Ablehnung konfrontiert. Punkrock-Musikerinnen zu sein bedeutet, dass man sich irgendwie in politische Dinge einmischen muss. Wenn nicht ich, wer dann? Wer übernimmt die Verantwortung für soziale Aufklärung und Bewusstseinsbildung? Wir sind in diesem Bereich sehr engagiert. Masha und Nastya haben eine Bildungs-initiative ins Leben gerufen und jeden Monat halten sie Vorträge über Gender, LGBT und Feminismusfragen.
Masha: Es kommt mir manchmal vor, als lebte ich in dem Roman „1984“ von George Orwell. Es ist sehr schwierig, in einem Land zu leben, in dem alle einen überwachen. Ehrlich mal: eine Geldstrafe für einen Beitrag im Internet – ist das normal? Ich arbeite als Lehrerin an einer Musikschule und habe oft Probleme mit meiner Direktorin, einer älteren Frau mit typisch post-sowjetischem Denken. Ich habe rosa Haare und Piercings, Schüler und Kollegen mögen das, aber nicht die Leiterin.
Nastya: Als Musikerin kann ich mich gut zeigen, aber der Weg ins Fernsehen ist verschlossen. Als Feministin kann ich auch Vorträge halten, aber ich kann nicht zu einer Demonstration gehen, die von den Behörden keine Genehmigung bekommt. In Belarus gibt es kein Gesetz zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Aber jetzt schließen sich viele belarussische Feministinnen für eine gemeinsame Sache zusammen.
Wie ist die Situation für LGBT in Belarus?
Masha: Wir versuchen zu kämpfen, aber bis jetzt ist alles sinnlos. LGBT-Leute werden immer noch auf der Straße geschlagen. Sie werden zu „Fake Dates“ geladen und dann übel zusammengeschla-gen oder sogar grausam getötet. Ich bin froh, dass in den letzten Jahren in Belarus etwas mehr Bil-dungsinitiativen entstanden sind. Eine davon fand in unserer Stadt Grodno statt, sie wurde von mir und Nastya ins Leben gerufen. Viele Menschen in Belarus wollen einfach nicht glauben, dass es LGBT überhaupt gibt. Und der Rest sagt einfach: „Das interessiert mich nicht, macht was ihr wollt, Hauptsache, mein Kind wird nicht so.“ Aber persönlich habe ich immer noch Angst davor, in Bela-rus offen auszusprechen, dass ich Teil der LGBT-Community bin, weil ich weiß, dass es für mich gefährlich ist. Ich hoffe, dass es eines Tages einen CSD geben wird, wo ich mit Stolz im Konvoi fahren kann und keine Angst haben muss.
Was kann von außerhalb Weißrusslands getan werden, um euch zu unterstützen?
Lizzie: Was wir brauchen, ist Solidarität. Hier wird Blut vergossen und Menschen werden für Jahre ins Gefängnis gesteckt. Das kann nicht mehr ignoriert werden. Das Leben der Menschen wird zer-stört, weil sie den Wunsch haben, besser zu leben. Wir wissen nicht, wie lange wir diesen Kampf aushalten können, aber ich bin sicher, dass es mit internationaler Unterstützung etwas leichter sein wird und wir weniger ängstlich sind. Die Freiheit gehört uns!
Eine etwas längere Version des Interviews findet ihr in der neuen L-MAG-Ausgabe Sept./ Okt. 2020
ACHTUNG: Wir schenken euch E-Paper-Ausgaben der L-MAG! Hier geht's zum kostenlosen Download - für den Desktop und für mobile Geräte.
Jetzt im Handel: Die neue Ausgabe der L-MAG an jedem Bahnhofskiosk, im Abo, als e-Paper und bei Readly erhältlich.
L-MAG, frei und selbstbewusst!
Wir wollen unabhängig und selbstbestimmt bleiben. Zum Jahresende wenden wir uns an unsere Leser:innen: Ihr wisst am besten, warum es uns braucht und was ihr an uns schätzt. Helft uns, damit wir uns für die Zukunft wappnen können, die in politischer wie finanzieller Hinsicht nicht einfach wird.
Gute Artikel gibt es nicht umsonst!
Vielen Dank!
Euer L-MAG-Team