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Filmtipp „Heartbeast“: Lesbischer Teenie-Crush, der zur Obsession wird

Nordic Noir mal anders: Junge Rapperin verliebt sich in ihre Stiefschwester und versucht, sie immer enger an sich zu binden. „Heartbeast“, inszeniert in grellen Farben und aufpeitschender Musikvideo-Ästhetik, gibt's jetzt im Streaming.

Port-au-Prince Films

Von Anja Kümmel

4.12.2022 - Eigentlich sieht alles ziemlich gut aus für Elina: Die 15-jährige Rapperin zieht mit ihrer Mutter von Finnland nach Südfrankreich zu deren wohlhabendem Boyfriend. Ein sorgloses Leben zwischen Villa, Swimming-Pool und Strand-Flirts könnte beginnen.

Auch wenn Elina (Elsi Sloan) mit ihren raspelkurzen giftgrünen Haaren als „Alien“ (so auch ihr Bühnenname) aus ihrer Umgebung heraussticht, wird sie offensichtlich von ihrer Familie akzeptiert, bekommt Anerkennung für ihre Musik und scheint auch mit ihrer Queerness keinerlei Probleme zu haben. Ihre kantige Unisex-Schönheit garantiert ihr zudem die Aufmerksamkeit so einiger Mädchen.

Latent bedrohliche Atmosphäre vor idyllischer Kulisse

Doch die finnische Regisseurin Aiko Suni hat es in ihrem Spielfilmdebüt nicht (oder zumindest nicht nur) auf eine Coming-of-Age-Geschichte vor idyllischer Kulisse angelegt. Von Anfang an durchzieht Heartbeast eine latent bedrohliche Atmosphäre.

Zunächst könnte man Elinas großspurige Lyrics, ihren düsteren, in sich gekehrten Blick und ihre Faszination fürs Morbide für „normale“ Ticks eines Teenagers halten. Als sie dann aber ihre 17-jährige Stiefschwester Sofia (Carmen Kassovitz) kennen lernt und sich in sie verliebt, begreift man schnell, dass das, was sich hier entwickelt, kein harmloser Teenie-Crush ist, sondern eine handfeste Obsession.

Sofias Liebe gilt dem Ballett, ansonsten experimentiert sie unbekümmert mit Jungs und Drogen. „Ich glaube nicht, dass man jemanden besitzen kann“, sagt sie eines Abends leichthin zu Elina. Und ahnt nicht, dass die bereits ein Lied für sie komponiert hat, in dem es heißt: „Du bist mein Ein und Alles“ und: „Ich tu dir weh, doch nur zu deinem Besten.“ Schon bald treibt Elinas krankhafte Eifersucht sie dazu, ihr Objekt der Begierde durch Erpressungen, Lügen und Manipulation immer enger an sich zu binden

Lebensrealität der Gen Z in ungewöhnlicher Bildsprache

Das klingt verdächtig nach dem homophoben Klischee der mordlustigen Lesbe, das eigentlich längst in der Mottenkiste verschwunden sein sollte. Doch Suni und ihre Kamerafrau Kerttu Hakkarainen schaffen es, diesem Plot einen originellen und zeitgemäßen Twist zu geben. Heartbeast wartet mit einer ungewöhnlichen Bildsprache auf, die zwischen dem düsteren Chiaroscuro von Caravaggio-Gemälden und einer grellen 90er-Jahre-Neon-Ästhetik changiert. Und transportiert diesen Mix dann auch noch nonchalant in die Lebensrealität der Gen Z.

Vor allem nächtliche Szenerien und Innenräume verstehen Suni und Hakkarainen mit allen Mitteln der Kunst auszuschlachten: Das samtige Dunkelrot im Innern mondäner Villen, in Stroboskoplicht getauchte Club-Szenen oder eine Tanz-Performance in einer Fabrikhalle, die an ein auf Hochglanz gebürstetes Industrial-Musik-Video erinnert. Und selbst die Sonne der Côte d’Azur wirkt hier nicht warm und freundlich, sondern eher schneidend und bedrohlich.

Psychophathin oder unverstandene Romantikerin?

Ähnlich artifiziell und überlebensgroß wird Elina in Szene gesetzt, wie etwa in einer Schlüsselszene, in der sie Sofia für eine Performance Lederriemen und Choker anlegt. Ihr starrer, blutunterlaufener Blick über Sofias Schulter hinweg könnte in diesem Moment auch der eines Serien-Killers sein.

Dramaturgisch geht die Gratwanderung zwischen Psychodrama, queerer Lovestory und campy Horror-Thriller à la Yann Gonzalez‘ Messer im Herz (unsere Filmkritik) oder Nicolas Winding Refns The Neon Demon allerdings nicht ganz auf. Zum einen bleiben die Gründe für Elinas toxisches Verhalten weitgehend im Dunkeln. Zum anderen, und das ist eigentlich das größte Manko, kann sich der Film im letzten Drittel nicht entscheiden, ob er Elina als gefährliche Psychopathin oder doch eher als unverstandene Romantikerin zeigen will.

Auch wenn gegen moralisch ambivalente Figuren nichts einzuwenden ist, hätte der Film hier doch ein deutlicheres Statement gebraucht, um übergriffiges und gewaltvolles Verhalten nicht zu verharmlosen. So überzeugen zwar die Optik, die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen und nicht zuletzt der tolle Soundtrack, doch hinterlässt das Ende einen unguten Nachgeschmack.

Heartbeast (FIN/ F/ D 2022), Regie: Aino Suni, mit Elsi Sloan, Carmen Kassovitz, Camille Dalmais u.a., 103 min., beim Streamingdienst MUBI

 

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