Filmtipp „I Saw The TV Glow“: Queerer Kampf gegen Melancholie
In dem queeren Fantasyfilm „I Saw The TV Glow“ flüchten sich die lesbische Maddy und der Einzelgänger Owen immer stärker in die Fantasiewelt einer TV-Show. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität immer mehr. Jetzt neu im Streaming.
Von Luka Lara Steffen
30.11.2024 - Mitte der 1990er Jahre lernt der schüchterne Einzelgänger Owen (Justice Smith, als Kind: Ian Foreman) an seiner High School die zwei Jahre ältere Maddy (Brigette Lundy-Paine, Atypical) kennen. Die lesbische Maddy wirkt zunächst selbstbewusst und rebellisch, doch auch sie ist eine Außenseiterin.
Die beiden Teenager:innen verbindet das Gefühl, nicht dazuzugehören. Maddy lädt Owen ein, gemeinsam mit ihr die Serie The Pink Opaque zu schauen und so beginnen die beiden, sich jeden Samstagabend in die alternative Realität der TV-Show zu flüchten.
Ihr Wunsch wächst, in der Fantasiewelt der Serie zu leben
In der an Buffy – Im Bann der Dämonen angelehnten Serie kämpfen Tara und Isabel („Tara Maclay“ und „Willow Rosenberg“ waren in Buffy eines der ersten lesbischen Paare im Fernsehen) gegen ihren Antagonisten Mr. Melancholy. Jede Woche sitzen Maddy und Owen gebannt vor dem Bildschirm und schauen den beiden Frauen dabei zu. Mit jeder Folge wächst in ihnen der Wunsch, in der Fantasiewelt von The Pink Opaque zu leben. Denn im Gegensatz zu Maddy und Owen, die sich gegen ihre quälend lähmende Melancholie nicht zur Wehr setzen, bekämpfen ihre Heldinnen im Fernsehen energisch Mr. Melancholy.
Einige Jahre vergehen. Als Maddy es in der Kleinstadt nicht mehr aushält und beschließt zu fliehen, traut Owen sich nicht, diesen Schritt mit ihr zu gehen. Auch wenn Owen spürt, dass etwas mit ihm nicht stimmt, hat er zu viel Angst, diesem Gefühl nachzugehen. Er flüchtet sich weiter in die vier Wände seines Zimmers, die statt eines Freiraums immer mehr zu seinem Gefängnis werden. Und dann verschwindet Maddy spurlos und auch The Pink Opaque wird von einem Tag auf den anderen abgesetzt…
Als lesbische Teenagerin fühlt sich Maddy fehl am Platz
In das Drehbuch des zweiten Langspielfilms von Jane Schoenbrun flossen die Erfahrungen ihres autobiografischen Coming-outs als trans und nichtbinär ein. Schoenbrun widmet sich in I Saw The TV Glow klassischen Coming-of-Age-Fragen - Wer bin ich? Und wo ist mein Platz in der Welt? – und legt dabei den Fokus auf die depressiven Gefühle, die entstehen können, wenn es keine klaren Antworten darauf gibt.
Als lesbische Teenagerin fühlt sich Maddy in dem trostlosen Vorort fehl am Platz, ihr fehlt eine reale Repräsentanz und auch Owen fehlt ein Vorbild und vor allem das Vokabular, um seine Gefühlswelt zu beschreiben. Um diese bedrückende und klaustrophobische Gefühlswelt der Teenager dazustellen, greift Schoenbrun auf Elemente des Horrorfilms zurück und schafft so ein allumfassendes Gefühl quälender Ausweglosigkeit – das auch als eine Metapher für Owens Geschlechtsdysphorie gelesen werden kann.
Von der Schwierigkeit, sich selbst zu akzeptieren
I Saw The TV Glow erzählt also von der Schwierigkeit, seinen Platz in der Welt zu finden und sich selbst zu akzeptieren. Einen Prozess, den alle Heranwachsenden durchlaufen, der für lesbische, schwule, transidente und queere Jugendliche aber häufig mit besonderen Herausforderungen verbunden ist und auch im Erwachsenenalter schwierig sein kann.
Doch lässt Schoenbrun nicht alles in Hoffnungslosigkeit versinken. Als Owen von der Arbeit nach Hause geht, liest er den mit Kreide auf die Straße geschriebenen Satz „There is still time“. Ein Appell an Owen und wohl auch an die Zuschauer:innen, dass es nie zu spät ist, seinen Platz zu finden.
I Saw The TV Glow, USA 2024, Regie/ Buch: Jane Schoenbrun, 100 Min., neu bei Streamingdiensten
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