Filmtipp „Sissy“: Killermaske mit Glitter – Queeres Update fürs Slasher-Genre
Eine queere Horrorkomödie, in der das Blut nur so spritzt, eine Figur nach der anderen ihr Leben lässt - und der Schrecken von Social Media allgegenwärtig ist: Das bietet „Sissy“, jetzt neu auf DVD und bei Streaminganbietern.
Von Paula Lochte
21.2.2023 - Cecilia sitzt im Schneidersitz vor einem pinken Wandaufsteller und hyperventiliert. Aber keine Sorge, niemand muss den Notarzt rufen (jedenfalls noch nicht), denn das ist Absicht. Das schnelle Keuchen ist Teil eines Meditations-Tutorials, mit dem sie ihren rund 200.000 Followern mehr Glück, Selbstbewusstsein und mentale Gesundheit verspricht. Sponsored by Elon Mask – einer Gesichtsmaske für porentiefe Reinheit.
Sobald Cecilia (Aisha Dee, bekannt aus ihrer bisexuellen Rolle in The Bold Type) ihr Instavideo abgedreht hat, bekommt die lächelnde Hochglanzversion ihrer selbst jedoch Risse. Hinter der Filmkulisse liegt eine rumpelige Wohnung. Sie holt sich kalte Pizza aus ihrer zugemüllten Küche und gönnt sich eine Folge Trash-TV. Ganz so „aufrichtig“ wie es ihr Social-Media-Handle „Sincerely Cecilia“ verspricht, ist sie also nicht.
Bei dieser Mischung aus zur Schau gestelltem Glück und tatsächlicher Einsamkeit könnte es bleiben, müsste Cecilia nicht dringend Tampons besorgen. In der Drogerie stolpert sie zufällig in ihre beste Freundin aus Kindertagen: Emma (Hannah Barlow, zugleich Co-Regisseurin und -Drehbuchautorin des Films).
Zwölf Jahre haben sich die beiden nicht gesehen. Emma ist mittlerweile mit der so charismatischen wie klugen Fran (Lucy Barrett) verlobt, und lädt Cecilia glatt zum Junggesellinnenabschied ein. Ein bisschen Karaoke, Kotze und Klokabinengespräche später ist Cecilia sogar beim Wochenendtrip dabei, bei dem das verlobte Frauenpaar seine nahende Hochzeit begießen will.
Keine lesbische Variante von Hangover
Spätestens an dieser Stelle ist allerdings ein Warnhinweis angebracht: Dieser Film ist keine lesbische Variante von Hangover oder Bridesmaids. Und wer glaubt, hinter dem Titel „Sissy“ verberge sich ein Kaiserin-Sisi-Kostümfilm, wird sein blutiges Wunder erleben. Nein, es handelt sich hier um eine Horrorkomödie, die dem Slasher-Genre ein queeres Update verpasst.
Und das bedeutet: Wenn eine Gruppe von Freunden in ein abgelegenes Ferienhaus fährt, dann sollten alle Alarmglocken schrillen. Zumal die Killerin mitten unter ihnen ist.
Virtuos spielt der Film mit allen klassischen Elementen eines Slasher-Movies. Nicht nur, weil eine Figur nach der anderen ihr Leben lässt und die Maskenbildner offensichtlich riesigen Spaß hatten, Blut spritzen, Knochen brechen und Schädel platzen zu lassen. Wer Sissy guckt, braucht einen starken Magen – oder muss schnell genug die Augen zusammenkneifen.
Sissy ist auch deshalb Slasher pur, weil der Film zwei Zeitebenen miteinander verschränkt. Da ist zum einen die Vergangenheit, die den Killer erst zum Killer gemacht hat. In Rückblenden entblättert sich die Kindheit von Cecilia, und wir erfahren, warum die Freundschaft zu Emma zerbrach (gespielt übrigens von begnadeten Kinderdarstellerinnen). Das in der Vergangenheit angelegte Trauma wird dann in der Gegenwart getriggert. Und so nimmt das Morden seinen Lauf.
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Entscheidend ist dabei auch das Wort „Sissy“. Denn das ist nicht nur eine niedliche Spitznamenversion des Namens Cecilia – sondern auch ein Schimpfwort: Auf Englisch bedeutet „Sissy“ so viel wie „Schwuchtel“.
Social-Media-Horror und mobbende Arschlöcher
Die Moral von der Geschicht’? Das ist es, was den Film so erfrischend macht. In klassischen Slasher-Movies müssen Teenager sterben, weil sie Schuld auf sich geladen haben – und das meint meist, dass sie Drogen nehmen oder Sex vor der Ehe hatten. So weit, so reaktionär.
Sissy dagegen ist nicht nur deshalb modern, weil der Film mit dem alltäglichen Horror von Social Media spielt, wo Menschen sich von Likes abhängig machen und Masken jeglicher Art aufsetzen, um besser anzukommen.
Sissy blickt hinter die Fassaden aller Figuren und zeigt: Wer Rosenquarz-Kristalle, Marihuana und Regenbogen-Schärpen mag, kann trotzdem ein mobbendes Arschloch sein. Und wessen Selbstwert als Kind durch Mobbing zertrümmert wurde, verdient unser Mitgefühl. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Der ist spätestens dann erreicht, wenn Cecilia aussieht wie der maskentragende Killer aus den Halloween-Horrorfilmen – nur mit beigemengtem Gold-Glitter. „Lauf um dein Leben!“, will man den Figuren zurufen, die in dieser so vorhersehbaren wie unterhaltsamen Indie-Horrorkomödie in ihr Unglück tappen.
Sissy (OT: Don't Call Me Sissy), Australien 2022, Regie/ Buch von Hannah Barlow & Kane Senes; mit Aisha Dee, Hannah Barlow, Emily De Margheriti u. a.; 101 Minuten. Ab 23.02. auf Blu-ray & DVD und bei Streaming-Anbietern
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