Hörspielserie „Desire“: Queerer Einblick in Sexarbeit
Die fiktionale Hörspielserie „Desire“ erzählt eindrücklich von lesbischen, queeren und nichtbinären Sexarbeiter:innen, ihrem Alltag in einem Bordell und ihrem Privatleben. Das auch hinter den Kulissen queere Format steht jetzt in der ARD-Mediathek.
Von Dana Müller
19.9.2023 - „Hi, ich bin Sam. Die Welt, in die ich dich hier mitnehme, ist eine fiktive Welt.“ So der Auftakt des sechsteiligen Hörspiels Desire. Es gehe um Sex, Geld und Macht; um Lust und Begehren, aber auch um Ausbeutung und Gewalt, „ehrlich, explizit und ohne Scham“. Das klingt viel versprechend. Im Mittelpunkt steht das Thema Prostitution, nur diesmal aus einer queeren und weiblichen Perspektive. Heißt in diesem Fall ganz konkret: Lesben und Nonbinäre, die als Prostituierte arbeiten, ganz offiziell, angemeldet, in einem Bordell.
Und das wird sicher die Gemüter erregen… auf die ein oder andere Weise. Die Serie basiert auf Interviews und Begegnungen mit mehr als 30 queeren Sexworker:innen. In professioneller Hörspielmanier erzählen Sam (Joy Grant), Lilli (Jasko Fide) und Robin (Newroz Çelik) von ihrem Alltag im Bordell, ihren privaten Dates, von Liebesbeziehungen, Familie und ihrem sozialen Umfeld. Es wirkt wie eine Live-Dokumentation, mitunter vergisst man, dass alles gescriptet ist. Das macht es spannend und irgendwie voyeuristisch.
Einzelne Geschichten sind recht alltäglich und wenig überraschend. So ist der Alltag im Bordell doch sehr heteronormativ und – machen wir uns nix vor – sexistisch. Unterschiedliche Männer machen einen Termin, erkaufen sich Sex. Es geht um ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, während queere (prekäre) Frauen abliefern müssen, egal wie ihr Tag gerade war. Stress zu Hause, schlechte Laune, gerade menstruierend? Sie werden bezahlt, also wird Leistung erbracht und zwar mit dem Körper. Komplimente eingeflüstert: „Oh, du bist so heiß.“. Und zwischendurch heißt es Duschen, Betten neu beziehen, Müll wegbringen und dann … der Nächste bitte.
Wie kann eine Lesbe auf Arbeit heterosexuelle Männer befriedigen?
Spannend ist in der Tat der queere Einblick. Wie kann eine Lesbe privat nur mit Frauen Sex haben und auf Arbeit heterosexueller Männer befriedigen? Wie kann eine nonbinäre Person sonst die Schönheitsideale des Mainstream für sich kategorisch ablehnen und für die Freier eine Perücke aufsetzen und sie zu 120 Prozent erfüllen? Und was passiert, wenn eine junge Mutter, während eines bezahlten Dreiers ihre sexuelles Begehren für Frauen entdeckt?
Hinter den Kulissen des Hörspiels gehören fast alle Darsteller:innen zur queeren Community, genau wie die Macherin Tia Morgen selbst. Das bringt auf jeden Fall einen anderen Blick auf das doch sehr alte Thema. Denn Sexarbeit polarisiert, auch unter Feminist:innen. Junge Queers fordern Selbstbestimmung, während Radikalfeministinnen seit den 70ern für die Abschaffung der Prostitution und damit der sexuellen Ausbeutung kämpfen.
Sexarbeit entmystifizieren und ihrer Alltäglichkeit darstellen
Auch in der medialen Darstellung werden Sexworker:innen entweder als passive Opfer ihren Lebensumständen dargestellt oder als empowerte „High-Class-Escorts“, findet Tia Morgen. Sie ist Autorin, Ko-Regisseurin und Produzentin des unangepassten Stücks: „Mein Ziel war es, Sexarbeit zu entmystifizieren und entromantisieren und in ihrer Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit darzustellen“, erklärt sie gegenüber L-MAG. „Weil die Geschichte von Sexarbeiter:innen schon immer eng mit der LGBTQIA+ Community verbunden war und ein riesiger Teil der Sexarbeiter:innen queer ist.“ Es ginge ihr nicht um einen umfassenden Überblick, vielmehr beschreibe Desire nur einen winzigen Ausschnitt von Sexarbeit.
Und der ist doch sehr eindrücklich. Immer wieder werden altbekannte Szenen reproduziert. Ein älterer Typ der endlich mal zwei „geile Lesben“ erleben will. Der reiche Manager, der selbstgefällig und großkotzig daher kommt. Doch dann ist da plötzlich der softe NGO-Mitarbeiter, der eher schüchtern wirkt, oder der Kunde, der sich am Ende in seine Escort verliebt. Und letztlich der Widerling, der Grenzen nicht kennt, ein Nein nicht akzeptiert.
Ängste, Selbstzweifel, finanzielle Zwänge, Grenzen und Gewalt
Die Verzweiflung, weil keiner zuhört. Die Selbstzweifel. „Jedesmal wenn ich eine Grenze nicht halten konnte, bin ich sauer auf mich selbst. Dann mache ich MIR Vorwürfe. Dann frage ich mich, ob mit mir irgendwas nicht stimmt“, ärgert sich Lili in Folge 5. Ängste, Rechtfertigungen gegenüber Beziehungen, Eltern und in Freundschaften. Es ist ehrlich.
Und immer wieder geht’s um Geld und die Frage der Selbstbestimmung. Kapitalismus, finanzielle Zwänge. „Mir ging es vor allem darum, die Parallelität zu anderen Arbeiten im Kapitalismus sichtbar zu machen. Ich denke, dass sich viele Selbstständige, gerade in prekären Bereichen, wie Freiberufler:innen im Medienbereich oder freischaffende Künstler:innen, sich in Sam, Lilli und Robin wiederfinden können“, erklärt Morgen. Aber lässt sich das wirklich vergleichen? Schlecht bezahlter Bürojob vs. Prostitution?
Alles in allem ist Desire ein bisschen viel lustvolles Gestöhne, schmeichelhafte Musik und Wellness-Feeling. Dennoch gibt das überraschende Hörspiel einen kritischen Einblick ins Bordellleben. Es lohnt sich, bis zum Ende dranzubleiben. Klingt es am Anfang noch sehr nach Verwöhnen, Spaß und leichtes Spiel, werden schließlich auch sexuelle Gewalt, Grenzen und Geldmangel thematisiert. Aber nicht vergessen: es bleibt fiktiv und selektiv.
DESIRE, Hörspiel, 6 x 30 Minuten, alle Folgen in der ARD Audiothek, bei Radio 1Live am 25.9./ 2.10./ 10.10., ab 23:00 Uhr (jeweils zwei Folgen)
Release Event, Fr, 29. Sept., 20:00 Uhr, Oyoun, Berlin
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