„Ich hatte die totale Gänsehaut“: Barbara Wallbraun über ihren Film „Uferfrauen - Lesbisches L(i)eben in der DDR“
„Geschichten über Liebe und Schmerz, Heimlichkeit und Aktivismus“ erzählt die Dokumentation „Uferfrauen“, die sechs Lesben mit DDR-Vergangenheit porträtiert (ab 3. Sept. im Kino). L-MAG unterhielt sich mit der Filmemacherin Barbara Wallbraun.
Von Dana Müller
2.9.2020 - Über 30 Jahre nach dem Mauerfall wurde die innerdeutsche Geschichte zwar vielfach aufgearbeitet, dennoch kommen weibliche und vor allem lesbische Perspektiven viel zu kurz. Wie war das Leben für Lesben in DDR? Wie fanden sich Lesben im Osten? Wie lebten sie? Diesen Fragen geht der Dokumentarfilm Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR (unsere Filmkritik). Barbara Wallbraun schmiss sich für den vielschichtigen Film schon 2013 in die Recherche und sprach mit Frauen aus unterschiedlichen Ecken des Landes. Ihr Film zeigt tiefe Einblicke in Alltag, Leben und Lieben in der DDR, auch abseits der Großstadt. L-MAG unterhielt sich mit der Filmemacherin über die unglaublich berührenden Geschichten.
Du bist Film- und Medienpädagogin. Das ist dein Langfilm-Debüt. Warum gerade das Thema Lesben und DDR?
Barbara Wallbraun: Ich bin ein paar Jahre in der DDR sozialisiert worden und komme aus dem katholischen Eichsfeld. Da gab es keine positiven Bezugspunkte zur Homosexualität oder zu lesbischer Sexualität. Es war für mich schwierig, Zugang und Identifikationsfiguren zu finden. Ich hatte schon in den 90ern und Anfang 2000 massive Probleme, eine Frau kennenzulernen. Wer ist denn jetzt lesbisch? Wen könnte ich ansprechen? Für mich war die Überlegung: Wie hat das eine Frau in der DDR gemacht? Es gab sie natürlich, die Lesben in der DDR, aber wo haben sie sich getroffen? Was haben Sie für ein Leben geführt? Der andere Punkt ist die geschichtliche Aufarbeitung DDR. Was bisher aufgearbeitet wird, dreht sich viel um die gleichen Themen. Warum nicht einfach nochmal den Fokus erweitern? Ich weiß viel über schwule Geschichte im Osten, im Westen und in der USA. Aber wo sind denn die Lesben? Das war mein Antrieb.
Was war dein Ansatz, dieses Thema zu bearbeiten?
Es ist natürlich ganz viel von mir in dem Film. Ich wollte wissen: Wie war das große Bild lesbischen Lebens in der DDR überhaupt? Und so bin ich losgegangen, habe mir einzelne Geschichten herausgepickt. Viele haben zum Beispiel erst mal Männer geheiratet und Kinder bekommen. Es war mir wichtig, auch das mit reinzubringen. Mein Ansatz war es, ganz viele Gespräche zu führen, aber auch ganz viel zu recherchieren, in Fachpublikationen, Stasi-Akten. Es ging darum, Frauen zu finden, die mir nicht nur ihre Geschichte unter vier Augen erzählen, sondern die auch sagen „Okay, ich würde mich vor die Kamera setzen.“ Und dann wollte ich über sie eine Art Drehbuch zu schreiben. So dass die Geschichten aufeinander aufbauen, obwohl sie unterschiedlich sind. Das war mein Ansatz.
Du hast für den Film die Einsicht in Stasi-Unterlagen beantragt. Insgesamt hast du 1.800 Seiten gelesen. Was war für dich das Erstaunlichste?
Ursprünglich wollte ich in den Stasi-Akten eine Protagonistin finden, die für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Das musste ich aber schnell canceln, denn laut Stasiunterlagengesetz werden diese Akten nochmal besonders geschwärzt. Homosexualität fällt in die Intimsphäre. Aber ich habe mich lange eingearbeitet, weil ich unbedingt wissen wollte, ob auch lesbische Frauen für die Staatssicherheit gearbeitet haben und andere bespitzelt haben. So hat sich aus vielen kleinen Steinchen das Ergebnis gebildet: Es gab ganz viele Lesben, die für die Staatssicherheit aus homosexuellen Kreisen über einzelne Personen, Treffen oder über Zusammenkünfte berichtet haben.
Im Film sind es schließlich sechs Frauen. Wie hast du deine Protagonistin letztlich gefunden? War das indirekt über die Akten oder über ganz andere Kreise?
Ich habe nicht eine Protagonistin über die Akten gefunden, weil alle Namen geschwärzt waren und es keine Rückschlüsse auf die Person, die dahinter steckt, gegeben hat, da das immer noch eine Art Verschlusssache ist. Ganz am Anfang hatte ich über Lesarion einen Aufruf geschrieben (und auch über L-MAG gesucht, Anm. d. Red.) und mich mit einigen getroffen. Aber letztlich habe ich meine Protagonistinnen dann doch gößtenteils über persönliche Kontakte gefunden. Von den Ursprünglichen haben viele abgesagt, weil sie krank geworden sind. Andere hatten dann doch Angst, ihre Geschichte vor der Kamera zu erzählen.
Die Frauen kommen aus unterschiedlichen Ecken Ostdeutschlands: Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt.
Ich komme selbst vom Land und wollte vorrangig schauen: Wie sah lesbisches Leben in einer ländlichen Gegend aus. Es war schwierig, lesbische Frauen vom Land zu finden, aber letztlich ist mir es gelungen.
Hast du ein Beispiel, wie du deine Protagonistinnen gefunden hast?
Nachdem Protagonistinnen abgesagt hatten, habe ich beispielsweise noch mal einen Aufruf auf Konnys Lesbenseiten gemacht. Nach der Veröffentlichung schrieb mich Gisela an, die schon sehr lange mit ihrer Partnerin zusammenlebt. Ich bin hingefahren und war ganz begeistert, weil ich unbedingt erzählen wollte, dass es auch dieses Paar gibt, das schon so lange zusammen ist. Die beide leben in einer kleineren Stadt ihrer eigenen Welt und haben kaum Kontakte in die Szene. Ich bin ganz besonders glücklich, dass sie den Mut hatten, vor die Kamera zu gehen und ihre Geschichte zu erzählen.
Was hat dich am meisten berührt von all den Erzählungen? Vielleicht muss es nicht die komplette Lebensgeschichte sein, sondern ein einzelner Moment.
Ich hatte bei jedem Dreh irgendwann die totale Gänsehaut. Dieses Gefühl von „Boah, was für eine Geschichte, das kann doch nicht wahr sein.“ Aber wo ich beim Dreh wirklich geweint habe, war zum einen, als Pat in ihre alte Wohnung ging und schrie. Ich konnte es so nachvollziehen, was sie für einen Schmerz in sich trägt. Und zum anderen, als Christiane von ihrer Todesfahrt erzählt und bildlich beschreibt, wie sie von der Stasi abgeholt wurde und in diesem Auto sitzt. Beim Dreh war es mucksmäuschenstill im Raum. Es war alles ausgeblendet und Christiane erzählte diese Geschichte, wo es um ihr Leben geht. Sie hatte wahrscheinlich 40 Jahre nicht darüber geredet und dann kommt das raus. Sie saß da vor der Kamera kurz nach ihrer Krebsbehandlung, als sie dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen ist, und erzählte uns diese Geschichte. Aber auch Elkes Leben oder Carola mit ihren Eltern: Das sind alles krasse Geschichten. Es gab Momente beim Dreh, die für mich emotional ganz oben sind.
Wie geht es den Protagonistinnen mit dem Film?
Mir war es ganz wichtig, dass die Frauen den Film sehen und sagen: „Wir können damit leben. Und wir möchten mit dir bei Filmgesprächen ganz vorne stehen und uns zeigen.“ Und es war mir extrem wichtig, dass sie die allerersten sind, die diesen Film überhaupt sehen. Carola, Pat und Christiane haben dann bei einem Treffen festgestellt, dass sie sich schon einmal kennen gelernt haben. Und Elke, Sabine und Gisela wohnen nicht weit auseinander. Die freuen sich wenn sie sich immer mal wieder sehen. Es wird demnächst eine Ostsee Promo-Tour durch Mecklenburg-Vorpommern geben. Und alle sagen, sie kommen auch mal in eine Stadt, und danach treffen wir uns alle in Christianes Haus am Bodden. Ein bisschen gehofft hatte ich das schon vorher, und nun ist es eingetreten, dass sie total Lust haben, sich untereinander auszutauschen und gegenseitig Mut zu machen.
Und zum Schluss: Was ist nach all der Arbeit und Recherche in den Gesprächen mit den Frauen dein Fazit? Wie war das Leben für Lesben in der DDR?
Das sind Geschichten über Liebe und Schmerz, über Heimlichkeit und Aktivismus. Das Leben in der DDR als Lesbe war die komplette Bandbreiteite an Gefühlen. Es war ganz viel heimlich und verboten, es war nicht erwünscht. Aber es war eben Liebe und dieses universelle Gefühl „Ich weiß wer ich bin und wen ich haben möchte“. Und im Optimalfall haben sich Menschen gefunden, die zusammenleben wollten, egal welche Heimlichkeiten oder Verbote damit zusammenhingen. Da hieß es dann: Hier bin ich jetzt zu Hause angekommen, und hier darf ich Ich sein, aber eben nur in einem bestimmten kleinen Rahmen.
Uferfrauen - Lesbisches L(i)eben in der DDR (D 2019), Regie: Barbara Wallbraun, 115 min., Kinostart: 3. Sept. 2020 - unsere Filmkritik; alle Kinotermine stehen hier und auf der Webseite des Films
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