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Kinotipp „Call Jane“: Eine Hausfrau findet die Rebellin in sich

Eine Hausfrau schließt sich in den 1960ern einer illegalen feministischen Gruppe an, die sichere Abtreibungen anbietet: Davon erzählt die lesbische „Carol“-Drehbuchautorin Phyllis Nagy in ihrem Regiedebüt mit Elizabeth Banks und Sigourney Weaver. Ab 1.12.

Wilson Webb/ DCM Joy (Elizabeth Banks, l.) und Virginia (Sigourney Weaver)

Von Karin Schupp

29.11.2022 - Er könnte kaum aktueller sein: Ein halbes Jahr, nachdem das höchste Gericht der USA das Recht auf Abtreibung kassierte, kommt mit Call Jane ein Film ins Kino, der in einem Jahrzehnt spielt, als Schwangerschaftsabbrüche verboten waren und Frauen mit ihrem Konflikt alleine gelassen wurden.

Wir schreiben das Jahr 1968. Joy (Elizabeth Banks), eine brave Vorstadthausfrau mit freundlichem Pascha-Ehemann und Teenie- Tochter, freut sich auf ihr zweites Kind – bis sie erfährt, dass sie die Schwangerschaft nicht überleben könnte. Das Gesetz verbietet ihr den Abbruch, und das - natürlich rein männlich-weiß besetzte - Gremium, das eine Ausnahmegenehmigung erteilen könnte, entscheidet einstimmig mit Nein. Anders als ihr gesetzestreuer Mann Will (Chris Messina) ist Joy aber nicht bereit, sich ihrem Schicksal zu fügen und findet nach einem angeekelten Umweg über eine schmuddelige, illegale Abtreibungspraxis Hilfe bei Jane.

Nach dem Teller Spaghetti entdeckt Joy die Rebellin in sich

Hinter „Jane“ verbirgt sich keine Frau dieses Namens, sondern eine geheime feministische Gruppe um die energische Virginia (Sigourney Weaver), die medizinisch sichere Abtreibungen inklusive einer Nachsorge anbietet.

Joy glaubt zunächst, dass mit dem Teller Spaghetti danach im Hauptquartier der Janes das Thema für sie abgehakt ist. Doch dann braucht es nur einen kleinen Anstupser von Virginia, bis sie die Rebellin in sich entdeckt. Und während ihre Familie sie in einem Malkurs glaubt (an mehreren Tagen pro Woche? Und ohne je ein Bild mit nach Hause zu bringen?), verrichtet sie Hilfsjobs für die Janes, wird dann zur Assistentin von Dean (Cory Michael Smith), der die Eingriffe durchführt, und ist schließlich entscheidend daran beteiligt, die Abbrüche erschwinglicher zu machen.

Wilson Webb/ DCM Wir sind alle Jane: Joy (Elizabeth Berkley, l.) und Gwen (Wunmi Mosaku)

Wer kann sich eine Abtreibung leisten und wer nicht?

Denn Dean ist zwar gut, kassiert aber auch so kräftig ab, dass viele Schwangere sein Honorar nicht bezahlen können. Das betrifft insbesondere schwarze Frauen, wie Gwen (Wunmi Mosaku) die einzige Schwarze bei den Janes, in einer zentralen Szene betont. Überhaupt spielt die Frage, wer sich Abtreibungen leisten kann und wer nicht, eine wichtige Rolle.

Und auch die Hierarchie der Begründungen, ein Kind nicht austragen zu wollen – Vergewaltigung, eigene schwere Erkrankung, Armut, Minderjährigkeit oder die „Stammkundin“ mit dem verheirateten Lover – wird immer wieder thematisiert, auch wenn die Gruppe eigentlich selbst nicht darüber urteilen will.

Dass Virginia lesbisch ist, bleibt leider nur eine Behauptung 

Mit der gutbürgerlichen Hauptfigur Joy, deren Schwangerschaft ihr eigenes Leben bedroht, liegt die Latte jedoch tief, und vermutlich will der Film damit auch ein eher konservatives Mainstream-Publikum ansprechen, bei dem nicht ohnehin schon offene Türen eingerannt werden. Joys gut nachvollziehbare Entwicklung mitzuerleben, geht dann allerdings zu Lasten der (übrigens fast ausschließlich weiblichen) Charaktere, die man allzu gern auch besser kennen lernen würde.

Dass zum Beispiel Virginia – von Weaver stark verkörpert - lesbisch ist, bleibt nur eine Behauptung der ebenfalls lesbischen Regisseurin Phyllis Nagy, die hier ihr Kinofilmdebüt gibt. „Sigourneys Figur ist lesbisch. Wir machen keine große Sache daraus, aber es ist da, sie hat eine Freundin“, sagte Nagy, die als Drehbuchautorín von Carol eine Oscar-Nominierung bekam.

Hier jedoch ist das mehr als subtil gezeigt, und es kann nur vermutet werden, dass Gwen, über die man noch weniger erfährt, ihre Freundin ist. Dabei ist es kein Geheimnis, dass sich in der Realität auch viele lesbische Frauen gegen das Abtreibungsverbot engagiert haben. Und auch welche Funktion eigentlich Joys verwitwete Nachbarin/ Freundin Lana (gespielt von einer unterforderten Kate Mara) für den Film haben soll, bleibt irgendwie unklar.

Das „Jane Collective“ gab es wirklich

Call Janeist unterhaltsam und kraftvoll erzählt, wenn auch sehr konventionell, was Dramaturgie und Bilder angeht (wenn Jane fröhlich ist, tanzt sie, wenn sie traurig ist, beginnt es zu regnen…), und schafft es, unsentimental und ohne Druck auf die Tränendrüse zu zeigen, was ein Verbot von Abtreibung bringt: Nämlich nichts - außer Verzweiflung, medizinisch zweifelhafter Praktiken und Halsabschneider, die die Not der Frauen ausnutzen. Wie sich die Frauen in den USA jetzt wehren werden, bleibt abzuwarten – aber dass sie sich wehren werden, steht schon jetzt fest.

Das „Jane Collective“ gab’s übrigens tatsächlich. Die Gruppe half ab 1968 rund 11.000 Frauen, bis sie 1972 aufflog. Sieben Mitgliedern drohte daraufhin lebenslange Haft, doch die Anklage wurde glücklicherweise 1973 fallen gelassen, nachdem das Supreme Court Abtreibung in den USA legalisiert hatte. Wer mehr über darüber erfahren will: Der Dokumentarfilm The Janes – Recht auf Abtreibung (2021) steht bei den Streamingdiensten WOW und Sky Go.

Call Jane (USA, 2022), Regie: Phyllis Nagy, Buch: Hayley Schore, Roshan Sethi, mit Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Wunmi Mosaku, Kate Mara u.a., 120 min. – Kinostart: 1. Dez. (Schweiz: 24. November, Österreich: 2. Dezember)

 

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