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Kinotipp: Traumhafter Trash – „Messer im Herz“ mit Vanessa Paradis

Eine lesbische Schwulenporno-Produzentin, die ihre Ex zurückerobern will, und ein Serienkiller, der ihre Darsteller tötet: "Messer im Herz" ist ein frivoler Fiebertraum mit exaltierten Bildern, surrealen Elementen und einer überzeugenden Hauptdarstellerin

Edition Salzgeber Vanessa Paradis (l.) und Kate Moran

Von Anja Kümmel

14.7.2019 - Ein lesbisches Liebesdrama im Schwulenporno-Milieu anzusiedeln, klingt erst mal nach einem ungewöhnlichen Kunstgriff – doch angesichts des wilden Genre-Bending, das der gesamte Film betreibt, ist dieser Clash der Subkulturen eigentlich nur ein geringfügiges Detail.

Bereits der Titel, Messer im Herz, lässt an ein trashig-kitschiges Tattoo denken, das man sich in einem akuten Anfall von Liebeskummer in irgendeinem schummrigen Hinterzimmer stechen lässt. Und genau diese Stimmung gibt dann auch den Grundton des zweiten Spielfilms von Yann Gonzalez (Begegnungen nach Mitternacht, 2013) vor.

Knallharte Produzentin, liebeskummergebeutelte Verlassene

Wir schreiben das Jahr 1979. Im Zentrum des Geschehens steht die Schwulenporno-Produzentin Anne, verkörpert von Vanessa Paradis in platinblondem Debbie-Harry-Look mit überdimensionaler Sonnenbrille, schwarzglänzender Regenjacke und Flachmann immer griffbereit in der Handtasche.

Eben wurde Anne von ihrer Liebhaberin Loïs (Kate Moran) verlassen, die zugleich als Cutterin ihrer Filme fungiert. Einsehen will sie Loïs‘ Entscheidung allerdings noch lange nicht. Am Set gibt sie die knallharte Produzentin; dann wieder driftet sie liebeskummergebeutelt und traumwandlerisch wie ein verlorenes Kind durch das nächtliche Paris: eine schmale Gratwanderung zwischen cool und kaputt, berührend und überzogen-lächerlich, die Paradis perfekt beherrscht.

Blutige Mordserie und der Versuch, die Ex zurückzugewinnen

Schon bald jedoch reißt eine blutige Mordserie Anne aus ihrer Trance: In der Schwulenszene treibt ein maskierter Killer in Lederkluft sein Unwesen und schlachtet reihenweise hübsche junge Männer mit einem Dildo-Klappmesser ab – unter ihnen mehrere von Annes Darstellern.

Während sich Anne auf eigene Faust in die Ermittlungen stürzt (bei der französischen Polizei hat eine Mordserie in der Schwulenpornoszene ganz offensichtlich keine Priorität), verarbeitet sie die Geschehnisse zugleich in einem ambitionierten neuen Filmprojekt, mit dem sie ihre Ex-Geliebte zurückgewinnen will.

Da die Realität in etwa so bizarr daherkommt (und ebenso weich gezeichnet gefilmt ist) wie die Film-im-Film-Szenen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden, auf welcher Ebene man sich gerade befindet – verstärkt noch durch surreale Elemente wie etwa das Motiv eines mythischen Totenvogels, auf dessen Spur sich Anne begibt.

Ironisches Spiel mit Referenzen aus der Filmgeschichte

Eine schlüssige Krimihandlung oder psychologische Nachvollziehbarkeit sollte man nicht erwarten; vielmehr vertraut Gonzalez auf exaltierte Bilder und schrille „Giallo“-Ästhetik, während seine Figuren, wie etwa in frühen Almodóvar-Filmen, ganz in ihren Passionen und Obsessionen gefangen bleiben. Auf dieses ironische Spiel mit diversen Referenzen aus der Filmgeschichte, verpackt in einen so frivolen wie hochemotionalen Fiebertraum, muss man sich einlassen können, um Messer im Herz voll und ganz zu genießen.

Grandios ist etwa, wie der Film von einer Szene in der Polizeibehörde, wo zwei latent lüsterne und offensichtlich homophobe Beamte Anne verhören, direkt zu einer pornographisch aufgeladenen Parodie des eben Gesehenen schwenkt. In der künstlerischen Verarbeitung werden nicht nur die unterdrückten Sehnsüchte der Polizisten vorgeführt, sondern die, über die eben noch herablassend gesprochen wurde, holen sich ihre Macht auf originelle und ziemlich komische Weise zurück.

Ganz nebenbei zeichnet Gonzalez damit auch das liebevolle Porträt einer queeren Familie, die in harten Zeiten zusammenhält. Damit ist Messer im Herz nicht nur eine Hommage an eine vergangene Ära, sondern schafft zugleich eine Utopie radikaler Inklusivität, die ins Jetzt und darüber hinaus in die Zukunft verweist.

Messer im Herz (OT: Un Couteau dans le Coeur), FR 2018, Regie: Yann Gonzalez, Drehbuch: Yann Gonzalez/ Cristiano Mangione, mit Vanessa Paradis, Kate Moran, Nicolas Maury u.a., 102 min., Französisch mit dt. Untertiteln - im Juli bundesweit in der Queerfilmnacht, ab 18. Juli im Kino (Orte/ Termine, soweit bisher bekannt)

 

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