Kinotipp „Wir beide“: Eine Hommage an das Leben und die Liebe
Herzergreifend, voller Humor und Biss: Der Film mit Barbara Sukowa erzählt von zwei älteren Frauen, die seit Jahren ein glückliches Paar sind, ihre Beziehung aber geheim halten. Doch dann verändert ein Schicksalsschlag ihr ganzes Leben. Ab 6. Aug. im Kino
Von Dana Müller
5.8.2020 - Da bleibt garantiert kein Auge trocken: Wir beide erzählt die wahrhaft herzergreifende Geschichte des älteren Paars Nina und Madeleine. Die Story ist schier unglaublich und könnte doch genau so im Hier und Jetzt passieren: Seit Jahren leben sie Seite an Seite. Haustür an Haustür. Tief verbunden in großer Liebe. Immer füreinander da. Es könnte so schön und kitschig sein, wäre da nicht dieses eine große Übel.
Für Familie und Nachbarschaft sind Nina (Barbara Sukowa) und Madeleine (Martine Chevallier) einfach zwei Bewohnerinnen, deren Wohnungen durch den Hausflur getrennt sind. Bekannte. In aller Heimlichkeit träumen sie von einer goldenen Zukunft, ohne Ängste, Versteckspiel und in trauter Zweisamkeit an dem Ort, an dem sie sich vor Jahren kennengelernt haben: Rom.
Nur traut sich Madeleine nach all den Jahren noch immer nicht, ihren längst erwachsenen Kindern die Wahrheit zu sagen. Für ihre Familie ist sie die zurückgezogene Witwe, die ihren toten Gatten vermisst. Dabei huscht „Nachbarin“ Nina ständig heimlich über den Flur, um ihr nah zu sein.
Fortan muss Nina um ihre Geliebte kämpfen
Auch als Rentnerin gelingt es Madeleine nicht, ihre Beziehung zu offenbaren. Zu groß ist die Angst. Fast schon skurril wirkt dieses Versteckspiel. Doch dann versetzt ein Schlaganfall diesem mitunter komödiantischen Alltag ein jähes Ende. Fortan muss Nina als seltsame gebarende Nachbarin um ihre Geliebte kämpfen.
Es beginnt eine Story, die mit Humor und Biss das ganze Drama einer heimlichen Beziehung offenbart. Ein Wechselbad der Gefühle. Während die Kinder versuchen, pragmatische Lösungen für ihre Mutter zu finden, möchte Nina nur eins: Für ihre Partnerin da zu sein.
Einfühlsam und authentisch dargestellt: Liebe und Sexualität im Alter
„Ich wollte nicht, dass sie uns leidtun. Ich wollte nicht, dass Madeleines Tochter Anne als Tyrann wahrgenommen wird“, erklärte Regisseur Filippo Meneghetti seine Herangehensweise. Dem aus Italien stammenden Filmemacher ist in seinem Langspielfilm-Debüt eine fantastische Momentaufnahme von zwei Frauen in ihren Siebzigern gelungen. Selten wurde Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität im Alter so einfühlsam und authentisch dargestellt.
„Das ist das Tolle an diesem Film. Die Zwei sind nach all den Jahren noch immer verliebt. Sie haben auch offensichtlich noch Sex, nur die Kamera kriecht eben nicht mit ins Bett“, offenbart Nina-Darstellerin Sukowa im L-MAG-Interview (in der aktuellen Ausgabe -hier erhältlich). Und genau deshalb fiebert man mit, ob Nina die Tochter oder die neue Pflegekraft austricksen kann - das nicht Gezeigte, das Stumme geht ins Herz.
Neben all der Emotionalität ist die große Glanzleistung dieses französischen Dramas: Es bringt mehr Diversität ins Kino. Viel zu selten liegt der Fokus auf älteren Frauen und noch dazu auf lesbischen.
Ein Meisterwerk der lesbischen Filmgeschichte
Barbara Sukowa und Martine Chevallier sind einfach perfekt aufeinander abgestimmt. Einmal mehr beweist Könnerin Sukowa ihre schauspielerische Größe. Und doch schafft es Chevallier, was unmöglich scheint: Als vom Schlaganfall in ihrem Körper Gefangene, überragt sie sogar noch das Talent ihrer preisgekrönten Filmpartnerin, die bereits für Hannah Arendt den Deutschen Filmpreis erhielt (2013). Mit minimalsten Gesten – ein Aufflackern in den Augen, ein gehobene Augenbraue – rührt sie das Publikum zu Tränen. So berührend und echt ist Wir beide.
Das ist schlicht ein Meisterwerk der lesbischen Filmgeschichte. Das Haus, die verschlossenen Tür, die detailgetreue Einrichtung in der Wohnung, das karge Apartment auf der anderen Seite – alles erzählt eine Geschichte und bildet ein Ambiente, in das man vollends eintauchen möchte. Eine Hommage an das Leben, die Liebe und das Schicksal.
Wir beide (OT: Deux), F/ LUX/ B 2019, Regie: Filippo Meneghetti, Buch: Filippo Meneghetti u.a., mit: Martine Chevallier, Barbara Sukowa, Léa Drucker, 95 min. - Kinostart: 6. Aug. 2020
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