Krieg in der Ukraine: Queere Partys und Bombenalarm in Kyjiw
Nach dem Überfalls Russlands auf die Ukraine war die queere Filmmacherin und Fotografin Alina Shevchenko aus ihrer Heimatstadt Charkiw geflohen. Im Mai 2022 haben wir sie zum ersten Mal interviewt, heute fragen wir nach: Alina, wie geht es dir?
Von Hannah Geiger
*** English version below ***
29.11.2023 - Im Mai 2022 haben wir die queere Filmmacherin und Fotografin Alina Shevchenko (23) das erste Mal interviewt. Sie war aus ihrem Zuhause in der ukrainischen Stadt Charkiw geflohen, nachdem Russland die Ukraine im Februar 2022 überfallen hatte. Heute, eineinhalb Jahre später, sprachen wir mit ihr darüber, wie es ihr heute geht, wieso sie nach einigen Monaten im Ausland in die Ukraine zurückgekehrt ist und wie sie in die Zukunft blickt.
Seit wir das letzte Mal gesprochen haben, ist viel Zeit vergangen. Wie geht es dir jetzt?
Es hat sich seitdem vieles verändert. Nur eine Sache ist gleich geblieben: Ich fühle mich aufgrund der großen Unsicherheiten und der Unmöglichkeit, etwas langfristig zu planen, ständig wie in einem Schwebezustand.
Nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist, warst du für kurze Zeit in Berlin, dann lebtest du in Prag und nun bist du nach Kyjiw gezogen. Warum hast du dich trotz des Kriegszustandes dafür entschieden, zurück in die Ukraine zu gehen?
In Prag gab es einen Moment, in dem ich realisiert habe, dass ich mein Leben in der Ukraine leben und planen will. Ich mag es zwar, im Ausland zu sein, aber ich will meine Zeit, meine Arbeit und meine Ressourcen der ukrainischen Gesellschaft widmen. Und die Liebe war auch ein Grund. Meine Freundin lebte in der Ukraine, und ich wollte näher bei ihr sein. Während der gesamten Zeit im Ausland habe ich mein Zuhause vermisst. Man kann es gar nicht richtig „leben“ nennen, es ging nur ums Existieren, und ich hatte habe stets daran gedacht: Eines Tages werde ich meine eigene Wohnung haben.
Wie sieht dein Alltag gerade aus, und wie blickst du in die Zukunft?
Über diese Frage muss ich ein bisschen lachen. Wenn du in einem Land lebst, das sich im Krieg befindet, ist es sehr schwierig, über die Zukunft zu sprechen. Es gibt unter anderem den Plan, zeitnah mit meiner Freundin zusammenzuziehen, ein gemeinsames Leben aufzubauen, zu arbeiten, einen Bildungsprogramm über ukrainisches Filmemachen zu starten, für Freiwillige und das Militär zu spenden und so viel wie möglich zu helfen, damit mein Land diesen Krieg gewinnen kann. Zwei weitere Ziele sind, dass in der Ukraine das Recht auf eingetragene Lebenspartnerschaft und nach dem Krieg die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt werden. Dann werde ich mein Leben auskosten, so gut es geht.
Ich habe einen ziemlich gewöhnlichen Alltag. Ich schneide meine Videos, treffe mich mit Freund:innen, gehe ins Kino, ins Theater, in Konzerte oder Cafés. Manchmal werden meine Pläne von einem Bombenalarm durchkreuzt. Wenn das passiert, sitze ich entweder im Flur - wenn man zwischen zwei Wänden sitzt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Bombe nur eine davon trifft und man überlebt - oder ich gehe runter in die Tiefgarage. In meiner Nähe gibt es keinen Luftschutzbunker und die Tiefgarage ist der beste Ort, um sich zu verstecken. Zum Teil startet Russland nachts Großangriffe mit Drohnen und Raketen, dann muss ich die ganze Nacht in der Tiefgarage bleiben. Im Winter ist das besonders hart.
Als wir das letzte Mal gesprochen haben, war der Krieg noch das Thema, über das alle gesprochen haben. Mittlerweile ist die öffentliche Aufmerksamkeit etwas zurückgegangen. Hast du auch dieses Gefühl? Und was würdest du der Öffentlichkeit gerne mitgeben?
Das ist eine schwierige Frage. Ich finde es schade, dass Menschen der Sache nicht mehr so viel Aufmerksamkeit widmen, denn es betrifft uns alle. Das ist ein Krieg mitten in Europa, und wenn die Ukraine nicht gewinnt, werden nur 10, 20, 30 Jahre vergehen, bevor er in andere europäische Länder kommt. Krieg verläuft zyklisch. Deswegen würde ich die Menschen darum bitten, nicht zu vergessen, dass dieser Krieg tagtäglich stattfindet und wir, um ihn zu gewinnen, permanent Hilfe brauchen durch Spenden, Aktionen, das Einwirken auf lokale Politiker:innen, etc.
Wie sieht queeres Leben in Kyjiw momentan aus? Gibt es Orte, an denen sich die Community treffen kann?
Oft sind die Leute müde und verbringen viel Zeit zu Hause und mit ihren Freund:innen, aber gelegentlich gibt es Veranstaltungen für LGBT+. Queeres Leben in Kyjiw ist eigentlich ziemlich lebendig. Vor nicht allzu langer Zeit waren meine Freundin und ich in einem Schwulenclub im Zentrum von Kyjiw. Wir waren richtig beeindruckt davon, wie cool das war, jede Woche gibt es dort Veranstaltungen. Es finden auch regelmäßig queere Partys statt, meistens spenden die Organisator:innen einen Teil ihrer Einnahmen ans Militär.
Im Mai 2022 lebte dein Vater noch nahe Charkiw. Ist er noch dort und wie geht es ihm? Wie geht es dem Rest deiner Familie?
Mein Vater, meine Großmutter und meine Tante leben immer noch in Lozova, in der Region von Charkiw. Es geht ihnen gut, ich gehe sie regelmäßig besuchen. Es ist zwar immer noch nicht sehr sicher dort, aber nachdem die ukrainische Armee die Region befreit hat, ist es zumindest nicht mehr so nah an der Front.
Alles Gute dir!
Alina Shevchenko auf Instagram
English version:
Alina, since the last time we spoke, a lot of time has passed. How are you now?
So many changes from then honestly. Only the same thing that I’m still into limbo very often, because of many instabilities and the impossibly of planning for far away.
After Russia invaded the Ukraine, you were in Berlin for a short amount of time, then you lived in Prague and now you moved to Kyiv. Why did you decide to move back to the Ukraine, even though the war is still going on?
At a certain moment, while living in Prague, I realized that I wanted to live and plan my life in Ukraine. I like being abroad, but I feel that I want to work and invest my time and resources for Ukrainian society. Love also influenced. My girlfriend was in Ukraine and I wanted to be closer to her. All this time I was missing home. I can't even call it life, because it was rather an existence with the thought: one day I will have my own space.
How does your day to day life looks right now and what is your perspective for the future?
I laugh a little at this question, because talking about the future when you live in a country where there is a war is very difficult. Among the immediate plans are to move in with my girlfriend, build a common life, work, start an educational channel about filmmaking in Ukrainian, donate to volunteers and the military as much as I can, help in everything I can so that my country can win this war. Obtain the right to civil partnership in Ukraine, conclude it. After the war, achieve same-sex marriages and just live, live as best and much as I can. I have a relatively ordinary daily life. I edit my videos, then sometimes I meet with friends, go to movies, theaters, concerts, and coffee shops. Sometimes my plans set off air alarms. If there is a threat, I either sit in the corridor (because there is a rule of two walls and there is a greater probability that if a bomb hits one wall, I can survive). Or I go down to the parking lot. There is no bomb shelter near my house and the parking lot is the most optimal place underground where I can hide. Sometimes Russia massively attacks all of Ukraine with drones and missiles at night. If it happens that I stay up all night sitting in a cold parking lot. In winter it is even more difficult.
The last time we spoke, the war was everything everyone talked about, now the public attention has faded a little bit. Do you also feel that way and if yes, what would you like the public to remember/know?
This is a very difficult question. I'm sorry that people forget, stop paying enough attention to this. Because it concerns us all. This is a war in the center of Europe, and if Ukraine does not win it, 10, 20, 30 years will pass and this war will come to other European countries. War is cyclical. Therefore I would like to urge people not to forget that the war in Ukraine is going on every day and that we need constant help, informational, donations, actions, influence on local authorities - to win this war.
With regard to queer life. How does queer life in Kyiv looks like at the moment? Are there spaces where the community can meet?
Often people are tired, so they spend more time at home and in local friendly companies, but sometimes there are also some events for LGBT+ people. Queer life in Kyiv is quite full. Not so long ago, my girlfriend and I went to a gay club in the center of Kyiv. We were impressed by how cool it was there, events are held there every week. Queer parties are also periodically held, mostly they also donate a percentage of the money earned to help the military.
In may 2022, when we last talked, your father was still living near Kharkiv. Is he still there and how is he doing? And how is the rest of your family?
Yes, my father, grandmother and aunt lived and still live in Lozova, Kharkiv region. They are fine, I visit them periodically. It's still not very safe there, but it's not that close to the front line after Ukrainian forces liberated Kharkiv region.
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