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Lesbenfrühlingstreffen 2021 in der Kritik: „Wie weit sind wir gekommen, dass wir nicht mehr miteinander reden!“

Dem 47. Lesbenfrühlingstreffen wird im Vorfeld Transfeindlichkeit vorgeworfen. Mahide Lein vom Orgateam spricht im L-MAG-Interview von „Diskussionen, die auch dazugehören“, und kritisiert den Ton der Kritiker*innen als „vernichtend“ und „frauenfeindlich“.

Schultz/ ScreenshotAnstecker aus vierzig Jahren LFT (aus Kathrin Schultz' Filmdoku "40 + 2. Vier Jahrzehnte Lesbenfrühlingstreffen")

Von Paula Lochte

9.5.2021 - Zum 47. Mal findet an Pfingsten das - coronabedingt rein virtuelle - Lesbenfrühlingstreffen statt. Doch das Programm des diesjährigen Orga-Teams aus Bremen wird in Teilen als transfeindlich kritisiert. Mitorganisatorin Mahide Lein stellt sich im L-MAG-Interview den Vorwürfen und erklärt das in diesem Jahr „sehr radikalfeministiche“ Konzept.

L-MAG: Vom 21. bis zum 23. Mai findet das alljährliche Lesbenfrühlingstreffen, kurz LFT, statt. Ein Festival voller Workshops, Konzerte und Filme – dieses Jahr unter dem Motto „Rising to the Roots“. Inwiefern kehrt ihr zu den „Wurzeln“ zurück?

Mahide Lein: Wir haben zum Beispiel die Flying Lesbians im Programm, die erste deutsche Frauenrockband. Die sind 1974 zum ersten Mal aufgetreten, also in dem Jahr, in dem auch das erste LFT stattfand. Heute ist die eine Professorin, die andere hat einen Reiterhof, ein Bandmitglied ist Journalistin, nicht alle leben noch. Aber 2007 habe ich die Flying Lesbians wieder zusammengetrommelt. Anlässlich der Buchvorstellung von „In Bewegung bleiben“ (Querverlag) sind sie in Berlin aufgetreten. Darüber gibt es einen Film, den wir auf dem LFT zeigen.

Das Logo des diesjährigen LFT wie auch der Flying Lesbians ist die Doppelaxt Labrys, ein Symbol der Lesben- und Frauenbewegung der 1970er Jahre – eine Hommage?

Gestern Nacht habe ich das Logo betrachtet und hatte auf einmal die Musik dieser Zeit im Ohr. Aber mit „Rising to the Roots“ sind nicht nur jene gemeint, die in der frühen Frauen- und Lesbenbewegung aktiv waren, sondern auch unsere Ahninnen und Göttinnen. Unser Programm enthält auch spirituelle Workshops. Das ist es, was mich momentan so empört: Es wird über drei Veranstaltungen zum Thema „Trans“ geredet – dabei haben wir noch 37 andere im Programm.

Tatsächlich steht das LFT in der Kritik: Das Programm soll in Teilen transfeindlich sein. Bremens Frauensenatorin Claudia Bernhard hat deshalb ihre Schirmherrschaft zurückgezogen, der Verein LesbenRing zieht sich vom LFT zurück, es hagelt Distanzierungen, darunter von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die das Festival mitfinanziert. Ist die Kritik berechtigt?

Nein. Sonst wäre ich nicht als Mitorganisatorin und Moderatorin dabei. Wo anfangen? Dass Claudia Bernhard nicht mehr Schirmfrau ist, hat für uns auch finanzielle Konsequenzen. Der Senat hat zugesagte Gelder zurückgezogen. Dabei haben wir eine Woche zuvor noch die Bewilligung per Mail bekommen – mit dem Satz: „Wir finden das Programm toll.“ Auch die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die sich nun distanziert, hat vorher das Programm gelobt.

Und das Programm sah da genauso aus wie jetzt?

Wir haben nichts geändert. Eine Frau hat uns vorgeworfen, wir hätten in Reaktion auf den Shitstorm alles Mögliche rausgenommen, weil unser Programmheft plötzlich nur noch halb so viele Seiten habe. Dabei haben wir nur in der PDF-Ansicht auf Doppelseiten umgestellt.

Wie erklärst du dir die Kritik am Programm?

Wir behandeln Themen, die seit zehn Jahren rund um Transsexualität, Transition und Detransition insbesondere auf Social Media diskutiert werden. Wir wollen eine öffentliche Diskussion dazu führen. Unser Programm ist dieses Jahr sehr radikalfeministisch geprägt, darunter sind auch junge Frauen wie die Raddykes, die einen Workshop zu Lesbenphobie und Frauenfeindlichkeit in der queeren Szene machen. Wir wollen all das diskutieren. Dazu sind alle frauenliebenden Frauen herzlich eingeladen.

Alle sind eingeladen – doch nicht alle fühlen sich willkommen. Auf der Webseite werden explizit unterschiedlichste Lesben angesprochen: Das LFT sei beispielsweise für Ur- und Bewegungslesben, Lesben mit Behinderung und aus Osteuropa, Schwarze und Jüdische Lesben sowie intersexuelle und detransitionierte Lesben. Nicht in der Aufzählung genannt werden trans Lesben. Ist das Absicht?

Alle trans Frauen sind Frauen. Man muss also eigentlich nicht besonders betonen, dass sie auch dabei sind. Solche Aufzählungen sind immer unvollständig. Deshalb sollten wir Frauen und Lesben als vielfältige Kategorien verstehen. Ich komme aus einer Zeit, in der ganz viele trans Frauen mit in unseren Frauenprojekten waren. Dass sie dazugehörten, war keine Frage. Und ist es auch beim LFT nicht.

Wieso dann die explizite Nennung detransitionierter Lesben in der Aufzählung möglicher Teilnehmerinnen?

Weil das relativ neu ist. Wir haben eine junge Frau im Programm, die von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet, weil sie sich als Transmann nicht wohl fühlte und ihre Transition rückgängig machen wollte – was nur begrenzt möglich ist. Das betrifft nur relativ wenige, aber mittlerweile machen mehr und mehr das Maul auf und berichten von Problemen oder auch zu schnellen Entscheidungen. Deshalb halte ich die ärztliche Betreuung einer Transition und einen vorsichtigen Umgang mit Pubertätsblockern für unerlässlich.

Neben dir und der Erziehungswissenschaftlerin Simone Danz führt Julia Beck durch das Programm. Die in Berlin lebende US-Amerikanerin hat sich an Kampagnen der Women's Liberation Front beteiligt, die beispielsweise 2016 die Obama-Regierung verklagt hat, weil diese trans Schüler*innen die Nutzung der ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Toilette ermöglichen wollte. Wieso habt ihr euch für sie als Moderatorin entschieden?

Uns fehlte noch eine englischsprachige Moderatorin. Denn weil das LFT dieses Jahr virtuell stattfindet, haben wir mehr Veranstaltungen auf Englisch und Teilnehmerinnen aus aller Welt. Becks Positionen waren uns bekannt. Sie gibt allerdings keinen Workshop, sondern führt durch das Programm.

Beim Blick ins Programmheft fällt auf: Veranstaltungen, die sich explizit mit Transidentität und Transition beschäftigen, problematisieren diese. Da ist der bereits angesprochene Workshop zu Detransition. Die Aktivistin Gunda Schumann wiederum warnt in ihrer Veranstaltungsankündigung zu Transidentität sogar vor einem „trojanischen Pferd für Frauen“. Und auf dem Marktplatz stellt sich an einem virtuellen Stand die kürzlich gegründete LGB Alliance Deutschland vor. Diese will sich für LGB einsetzen – ohne T. Kein Grund zur Kritik?

Gunda Schumann ist schon an mehreren Orten aufgetreten und hat viele Buhrufe dafür bekommen. Sie einzuladen, soll eine Diskussion ermöglichen, die auch dazu gehört. Die in den Workshops vertretenen Thesen sind nicht gleichzusetzen mit der Meinung, die wir als Organisatorinnen vertreten. Ich bin zum Beispiel keine Radikalfeministin. Aber als feministische Kulturvermittlerin kann ich durchaus die Frauen verstehen, die sagen: „Get the L out!“ Die sich also für Lesben statt für LGBT* einsetzen wollen, weil sie sagen, spezifisch lesbische Belange gingen sonst unter.

Diese Position gilt manchen als „TERF“, als Trans-Exclusionary Radical Feminism – ein Feminismus also, der trans Frauen ausschließt.

Es geht nicht darum, trans Frauen generell zu kritisieren oder auszuschließen. Es geht um Situationen wie jene, die wir gerade erleben. So wie unsere Szene gerade mit uns umgeht, verstehe ich die Haltung: Das L muss raus aus dem Buchstabensalat. Am Anfang war ich stark. Dann erschüttert. Projekte und Lesben* distanzieren sich von uns aufgrund des Tweets einer einzigen Person, die schon seit Jahren auf Twitter sehr wütend ist.

Die breitere Diskussion ausgelöst hat ein am 18. April auf Twitter veröffentlichter Thread, in dem lou kordts das LFT 2021 als transfeindlich kritisiert (s. unten).

Daraufhin haben wir von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eine Mail bekommen, die beinahe im Wortlaut den Tweet wiederholt. Genauso die Stellungnahme vom LesbenRing, der uns übrigens weder telefonisch noch per Mail persönlich gesagt hat, dass er den Workshop zurückzieht. Das haben wir durch ihren Newsletter und über Twitter erfahren. Da frage ich mich doch: Wie weit sind wir gekommen, dass wir gar nicht mehr miteinander reden und diskutieren!

Es geht euch also um die Art und Weise, wie die Kritik geäußert wird?

Meine lesbischen „Schwestern“, meine queere „Familie“ beteiligt sich an diesem Shitstorm. Ich empfinde meine eigene Szene als Mitläufer. Sie plappern das nach, ohne es zu hinterfragen und sich selbst mit dem Festival auseinanderzusetzen. Es ist wie stille Post. Man hätte mich mal fragen können: „Mahide, du bist doch schon lange in der queeren und trans Szene unterwegs. Was ist das los?“ Man kann ja einen Workshop kritisieren. Aber nicht mit dieser vernichtenden Art: „Kauft keine Tickets!“ und Hassreden als wären wir im schlimmsten Krieg. Das macht mich wahnsinnig traurig.

In eurer Stellungnahme als Organisatorinnen des LFT 2021 habt ihr sogar von „psychischer Gewalt“ gesprochen.

Das ist psychische Gewalt. Wir gehen auch vor Gericht. Kolleginnen von mir werden persönlich fertiggemacht. Auch Laura Méritt zum Beispiel, der vorgeworfen wird, mit Sextoys Geld zu verdienen und transfeindlich zu sein. Das ist eine Frau, die hat vor gut 20 Jahren den ersten Transtoy-Laden eröffnet! Da stimmt doch was nicht. Es geht uns um frauenliebende Frauen. Diese Liebe möchte ich auch im Umgang miteinander bewahren.

Mal abgesehen von der Form – kannst du die Kritik inhaltlich nachvollziehen?

In den zwei Jahren Vorbereitung des LFT 2021 haben keine trans Frauen Vorschläge für Workshops eingereicht. Wir haben also nichts abgelehnt. Und wir haben trans Frauen im Programm: in unserem Team oder unter den auftretenden Musikerinnen. Es muss aber auch möglich sein, mal ein Frauen- oder Lesbenprojekt ohne Sternchen zu machen, für lesbische Sichtbarkeit einzutreten oder Themen anzusprechen, die seit zehn Jahren im Raum stehen. Und zwar ohne fertiggemacht zu werden oder zu fürchten, dafür keine Fördergelder zu bekommen. Dass Projekte von Lesben so niedergemacht werden, Projekte von Schwulen ohne Sternchen aber nicht, hat auch mit Frauenfeindlichkeit zu tun. Ich würde mir mehr Toleranz wünschen. Denn bei unserem LFT sind geile Frauen mit dabei. Wir haben 37 Workshops, Panels, Filme, Performances und eine große Ausstellung geplant, die nichts mit all dem zu tun haben. Dazu habe ich noch nichts gehört! Mit einem Augenzwinkern gesprochen: Mir sind sie schon selbst fast entfallen, denn sie kommen in der Diskussion gar nicht vor.

Worauf freust du dich denn besonders?

Meine Freundin Veronika Minder zeigt ihren Film Katzenball und beantwortet anschließend Fragen. Dass sie dabei ist, finde ich klasse! Ich freue mich auf alles. Auf die Diskussionen, etwa zu lesbischer Biographieschreibung, lesbischem Publizieren und den Umgang mit der Corona-Pandemie. Ich freue mich auf das Abendprogramm, das ich gemeinsam mit anderen auf die Beine gestellt habe. Ich freue mich auf die Jugend. Und als eine von den Alten auf das Motto „Rising to the Roots“.

 

Anm. der Red.: Wir wollen die Debatte fortsetzen und planen weitere Interviews zu diesem Thema.

 

Lesbenfrühlingstreffen Bremen, 21.-23. Mai 2021: Alle Informationen und das Programm stehen auf der Webseite des LFT. Ein Wochenend-Ticket kostet ab 30 Euro (Normalpreis) bzw. 15 Euro (Studentin/ Erwerbslose).

Zum Lesbenfrühlingstreffen: Das LFT gilt als größtes nichtkommerzielles Lesbentreffen Europas und findet seit 1974 an Pfingsten in wechselnden deutschen Städten statt. Es wird nicht von einer festen Gruppe, sondern autonom von Lesben aus dem ausrichtenden Ort organisiert. Das letzte LFT fand 2019 in Köln unter dem Motto „das L*FT 2019 schaut in die Sterne!“ statt, im vergangenen Jahr fiel es coronabedingt aus.

In einem Statement reagierte das LFT Bremen 2021Anfang Mai auf die auch in queeren Medien geäußerten Vorwürfe der Transfeindlichkeit (z.B. in unserem Schwestermagazin Siegessäule und dem Online-Portal männer*) und den Distanzierungen verschiedener Vereine und Verbände.

Mahide Lein, 71, ist Mitorganisatorin des LFT 2021 und Leiterin der Konzertagentur Ahoi. Sie wirkte an mehreren feministischen und lesbischen Projekten, Festivals und Konzertreihen mit. Dazu gehören das erste Lesbenzentrum in Frankfurt/ Main und das Berliner Fernsehmagazin Läsbisch-TV. 2004 erhielt sie den Zivilcouragepreis des CSD Berlin und 2018 den Rainbow-Award des Lesbisch-Schwulen Stadtfestes Berlin.

 

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