LGBTIQ in Europa: Lieber nicht Händchen halten - homo- und transphober Hass nimmt zu
In Europa bewegen sich LGBTIQ (und insbesondere lesbische Frauen!) offen wie nie zuvor. Aber homo- und transphobe Gewalt, Hass und Mobbing sind gestiegen, ebenso Suizidgedanken bei queeren Menschen – auch in Deutschland. Das ergab eine EU-weite Befragung.
Von Karin Schupp
26.5.2024 - „In Europa gehen heute mehr LGBTIQ-Menschen offen damit um, wer sie sind. Gleichzeitig sind sie mit mehr Gewalt, Belästigung und Mobbing konfrontiert als früher“, so lautet das Fazit einer europaweiten Befragung der EU-Agentur für Grundrechte (FRA).
Trotz verbesserter Rechtslage für LGBTIQ haben demnach homo- und transphobe Angriffe zugenommen, insbesondere bei trans und intersexuellen Menschen.
Die Hälfte der LGBTIQ versteckt ihre sexuelle Identität nicht
Zugleich gibt es aber auch Fortschritte: Rund die Hälfte (52 %) der Europäer:innen, die sich als LGBTIQ identifizieren, geht offen mit ihrer sexuellen Identität um (2019: 46 %) – bei den Lesben sind es sogar zwei Drittel!
Allerdings sagen auch 54 Prozent aller Befragten (und 45 Prozent der Lesben), dass sie es vermeiden, mit dem/ der Partner:in in der Öffentlichkeit Händchen zu halten (2019: 61 %).
Die Befragung, an der sich über 100.000 Menschen aus 30 europäischen Ländern beteiligten (alle 27 EU-Mitglieder plus die Beitrittskandidaten Albanien, Nordmazedonien und Serbien), wurde 2023 zum dritten Mal durchgeführt. Sie ist eine der größten weltweit zum Thema Hassverbrechen und Diskriminierung von LGBTIQ-Personen.
Diskriminierungserfahrungen sinken
Die Ergebnisse zeigen einen Rückgang der Diskriminierungserfahrungen, etwa bei der Job- oder Wohnungssuche, im sozialen Leben, im Bildungs- oder Gesundheitswesen. In den 12 Monaten vor der Umfrage erlebte dies jede:r Dritte (36 %), 2019 waren es noch 42 %.
Auch 38 Prozent der lesbischen Frauen sind davon betroffen (2019: 44 %), bisexuelle Frauen sind unterdurchschnittlich vertreten (30 % - 2019: 40 %). Besonders häufig diskriminiert werden hingegen trans (54 %) und intersex (61 %) Personen.
Gemeldet werden solche Vorfälle allerdings nur von 11 Prozent der Betroffenen. Die häufigsten Begründungen dagegen sind, dass eine solche Beschwerde keine positive Folgen erwarten lasse (49 %) oder die Erfahrung nicht der Meldung wert sei, weil so etwas „dauernd passiert“ (37 %).
Verbaler Hass: Vor allem in Schulen ein großes Problem
Über die Hälfte der Teilnehmenden wurde in den zwölf Monaten vor der Befragung mindestens ein Mal verbal belästigt oder erlebte (auch sexuell) bedrohliche Situationen in der Öffentlichkeit oder im Internet.
Ein besonderes Problem ist Mobbing in der Schule: Hier wurden bzw. werden zwei Drittel wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität verspottet, gehänselt, beleidigt oder bedroht (2019: 46 %) und zwar generationsübergreifend und in allen EU-Ländern. Dies ist ein starker Anstieg im Vergleich zu 2019, als die Hälfte der Befragten von Belästigungen während der Schulzeit betroffen war.
Körperliche Gewalt gegen LGBTIQ: Leichter Anstieg
14 Prozent der befragten LGBTIQ berichteten von physischen Angriffen in den vergangenen fünf Jahren (2019: 11 %). Auch hier wurden die meisten Vorfälle nicht angezeigt.
Gewalterfahrungen wegen ihrer sexuellen Identität machten auch 12 Prozent der lesbischen und 9 Prozent der bisexuellen Frauen. Am häufigsten von körperlicher Gewalt betroffen sind trans (20 %) und intersex (34 %) Personen.
Über ein Drittel hat suizidale Gedanken, vor allem Teenager:innen
Ein besonders trauriges Ergebnis: 37 Prozent haben im vergangenen Jahr schon mindestens einmal darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen. Alarmierend ist vor allem, dass sich darunter überdurchschnittlich viele Jugendliche (15-17 Jahre) befinden: 62 Prozent hatten/ haben suizidale Gedanken (2019: 30 Prozent).
Lesben sind hier weniger stark vertreten (30 %), doch auch hier ist ein deutlicher Anstieg zu beoachten: 2019 berichteten nur 11 Prozent, in den letzten Monaten über Suizid nachgedacht zu haben.
In Deutschland ist die Lage nicht besser als anderswo
In Deutschland ist die Lage für LGBTIQ laut dieser Studie nicht besser als in anderen EU-Ländern: die Werte liegen meist im Durchschnitt und sind zum Teil sogar leicht überdurchschnittlich. So berichten 57 Prozent von homo- bzw. transphoben Belästigungen (in den letzten 12 Monaten), 70 Prozent von Mobbing in der Schule (2019: 48 %) und 16 Prozent von Gewalterfahrungen (in den letzten 5 Jahren). Angezeigt werden solche Vorfälle nicht häufiger als anderswo.
Dabei sind überdurchschnittlich viele deutsche LGBTIQ – 38 Prozent - der Meinung, dass ihre Regierung sich gegen Intoleranz und Diskriminierung einsetze (Gesamt: 26 %).
Nicht aufzeigen kann diese Studie, ob die Lage in Deutschland tatsächlich vergleichbar oder sogar etwas schlechter als in anderen EU-Ländern ist oder ob deutsche LGBTIQ inzwischen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen häufiger als solche erkennen und zunehmend selbstbewusster davon berichten.
An der Online-Befragung, die von Juni bis August 2023 durchgeführt wurde, beteiligten sich 100.577 Menschen (ab 15 J.), die sich als LGBTIQ identifizieren.
Die Studie „LGBTIQ Euality at a Crossroads“ gibt es hier als PDF (in englischer Sprache).
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