Sasha Skochilenko: „Ich verkörpere alles, was für Putins Regime unerträglich ist“
Russland: Die lesbische Künstlerin Sasha Skochilenko wurde zu sieben Jahren Straflager verurteilt – weil sie gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine protestierte. Über 350 Ärzt:innen fordern in einem offenen Brief ihre Freilassung.
Von Paula Lochte
20.11.2023 - Die russische Anti-Kriegs-Aktivistin und Künstlerin Alexandra „Sasha“ Skochilenko ist von einem Gericht in ihrer Heimatstadt St. Petersburg am Donnerstag zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden.
Ihr vermeintliches Vergehen: Sie hatte Preisschilder in einem Supermarkt ausgetauscht. Wo sonst Produktinformationen standen, versteckten sich nun Botschaften gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine wie „Stoppt den Krieg!“.
Die 33-Jährige war nach der Aktion im April 2022 festgenommen worden und saß seither in Untersuchungshaft. Nun ist sie der „Verbreitung wissentlich falscher Informationen über die russischen Streitkräfte“ für schuldig befunden worden, hieß es in der Urteilsbegründung.
Amnesty International: „Menschenunwürdige Haftbedingungen“
Es handelt sich um einen neuen Straftatbestand, den die russische Führung kurz nach der russischen Invasion in die Ukraine eingeführt hatte - laut Amnesty International mit dem Ziel, Kritik der Bevölkerung im Keim zu ersticken. Den Prozess gegen Sasha Skochilenko kritisiert die Menschenrechtsorganisation als „Scheinprozess“ und ihre bisherigen Haftbedingungen als „menschenunwürdig“.
Kritik üben auch mehr als 350 Ärzt:innen in Russland, die in einem offenen Brief an Präsident Wladimir Putin ihre Freilassung fordern. „Als Ärztegemeinschaft sind wir in großer Sorge um Sashas Gesundheit", heißt es in dem Brief, der am Samstag veröffentlicht wurde. Bei Skochilenko seien eine Reihe „schwerer chronischer Erkrankungen“, darunter ein angeborener Herzfehler, diagnostiziert worden, die eine angemessene medizinische Behandlung sowie eine spezielle Diät erforderten, schrieben die Ärzte.
„Ich vermisse Sasha so sehr, sie ist meine Familie“
Gerade junge Leute in Russland kennen Skochilenko wegen ihrer 2014 erschienenen autobiografischen Graphic Novel über Depressionen, die unter dem Titel „A Book About Depression“ auch ins Englische übersetzt wurde. Außerdem schrieb sie Gedichte und Songs, trat auf kleinen Festivals auf. Doch bis auf Weiteres wird sie nicht mehr auf Bühnen stehen.
„Ich vermisse Sasha so sehr, sie ist meine Familie“, erzählt uns ihre Partnerin Sonya Subbotina per Sprachnachricht. Immer wieder hat sie auf den Fall der politisch verfolgten Künstlerin aufmerksam gemacht, gab Interviews, organisierte Medikamente – und schrieb Briefe ins Gefängnis. „In Briefen schreiben wir einander, dass wir füreinander da sind“, erzählt sie. Treffen oder Telefonate seien ihr nicht erlaubt worden.
Sasha sei „froh, nicht mehr jeden Tag in den Gerichtssaal zu müssen“, teilte uns Subbotina in einer weiteren Sprachnachricht mit und kündigte an, dass sie gegen das Urteil Berufung einlegen werde.
In einem ihrer Briefe schrieb Skochilenko aus der Haft: „Wie sich herausstellt, verkörpere ich alles, was für Putins Regime unerträglich ist: Kreativität, Pazifismus, LGBT, psychologische Aufklärung, Feminismus, Humanismus und Liebe zu allem Hellen, Uneindeutigem und Ungewöhnlichem.“
Quellen neben eigenen Interviews: dpa, AFP
Amnesty International hat eine Petition gestartet, die Sasha Skochilenkos Freilassung fordert - hier könnt ihr sie unterschreiben.
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