L-Mag

Unangepasste Kunstikonen: Ulrike Ottinger und Tabea Blumenschein

Mode, Kitsch, Popkultur: die Berliner Ausstellung „ZusammenSpiel“ widmet sich dem kreativen, lesbischen Traumpaar der 70er-Jahre, der Filmemacherin Ulrike Ottinger und ihrer damaligen Partnerin, der Schauspielerin und Künstlerin Tabea Blumenschein.

Ulrike Ottinger Claudia Skoda, Tabea Blumenschein, Jenny Capitain, 1986, fotografiert von Ulrike Ottinger

Von Carsten Bauhaus

23.8.2022 - Das Foto gleich am Eingang zeigt die beiden in ihrer gemeinsamen Wohnung in Berlin-Schöneberg: Ulrike Ottinger, schon damals im Anzug, souverän im Sessel sitzend, Tabea Blumenschein in manieriert-verbogener Körperhaltung dahinter, ein Glas in der Hand. „In unserer Wohnung in der Erdmannstr. 12 gab es damals einen riesigen Tisch“, kommentiert Ottinger das Foto. „Er diente als Arbeitstisch und als Esstisch während unserer großen Abendessen. Eigentlich aber war er eine riesige Bühne, der Ort unserer Inszenierungen. Es ging bei uns immer sehr lebendig zu, besonders abends und nachts.“

Illustre Gästeschar von Rosa von Praunheim bis David Bowie

Nicht nur Blumenschein und Ottinger inszenierten sich hier, sondern auch die illustre Gästeschar, zu der Rosa von Praunheim, Claudia Skoda, Martin Kippenberger oder der damalige Nachbar David Bowie gehörten – eine Art Westberliner Factory. Auf dem Foto von 1976 sehen wir auf der Wand hinter dem Paar eine Mischung aus Ottingers Fotos und Blumenscheins Zeichnungen – ähnlich wie sie jetzt in der Berlinischen Galerie präsentiert werden.

Ottingers Fotos entstanden meist als Vorbereitung oder Nachbereitung der gemeinsamen Filme. In „Die Betörung der blauen Matrosen“, „Madame X – Eine absolute Herrscherin“ oder „Bildnis einer Trinkerin“ inszenierte das Paar in schillernden, provokativen Bildern unterschiedlichste Identitäten und Rollenbilder.

Ulrike Ottinger Ulrike Ottinger (l.) und Tabea Blumenschein in ihrem Atelier, 1977

Mit der Ausdruckskraft eines Stummfilmstars

In ihren selbst entworfenen Kostümen entwickelte Tabea Blumenschein dabei die Ausdruckskraft eines Stummfilmstars. Ulrike Ottinger unterstützte ihre visuelle Wirkung nach Kräften: „Sie hatte etwas sehr Spielerisches. Mir war wichtig, dass sie viele Stummfilme sah und so aus einem riesigen Repertoire aus Vorbildern schöpfen konnte. Ihre Stärke war die Mimikry. Sie war narzisstisch – aber für mich als Filmemacherin war es natürlich wunderbar, dass sie sich so gern zeigte.“

Unweigerlich denkt man dabei an den Regisseur Josef von Sternberg, der Marlene Dietrich in den frühen 30er-Jahren nach seinen Vorstellungen formte. „Das ist durchaus ein Vergleich“, findet Ottinger, „Tabea war ja sehr jung. Und ich selbst hatte es in meinen Jahren in Paris erlebt, wie wichtig Inspirationen sind, die andere an einen herantragen. In diesem Bewusstsein habe ich versucht, ihr immer interessante Dinge zu zeigen.“

Mode, Kitsch und Popkultur

Die Tatsache, dass Blumenschein in den Filmen Ottingers immer wieder in die Rollen starker Frauen oder auch Männer schlüpfte, findet eine Fortführung in ihren eigenen bunt schillernden Zeichnungen: In ihren stilisierten comicartigen Porträts vermischte Blumenschein, was sie liebte: Mode, Folklore, Kitsch und Popkultur.

Harry Schnitger Ausstellungsansicht in der Berlinischen Galerie

Mit viel Liebe zum Detail zitierte sie dabei die Ästhetiken der Queer- und Subkulturen: Powerfrauen, Piratenköniginnen, „Lonely Sailors“. „Es waren alles Selbstporträts, ganz gleich, ob es Frauen oder Männer waren“, weiß Ulrike Ottinger. So auch die Bartfrauen: Herrscherinnen, die in ihrer Schönheit das Männliche und Weibliche vereinen. Das Fremde und „Exotische“ hatte Blumenschein immer fasziniert.

Blumenschein vererbte Ottinger ihren Nachlass

Nach ihrer Trennung 1979 gingen Blumenschein und Ottinger zeitweise getrennte Wege. Tabea Blumenschein engagierte sich etwa mit Kostümen, Texten und Musik bei der Avantgarde-Band Die Tödliche Doris rund um Wolfgang Müller. Im März 1985 präsentierte sie sich mit ihrer damaligen Freundin Isabelle Weiß auf dem Stern-Cover. Die Schlagzeile: „Frauen, die Frauen lieben“.

Die 90er-Jahre waren für Blumenschein von Abstürzen und zeitweiliger Obdachlosigkeit geprägt. Ihre kreative Ausdruckskraft aber floss weiter in eine Vielzahl von Zeichnungen. Der Kontakt zu Ottinger wurde wieder intensiver. Diese inspirierte sie wieder mit neuen Themenfeldern, kaufte viele ihrer Werke und erbte nach Blumenscheins Tod 2020 ihren Nachlass. Ihre Schenkung an die Berlinische Galerie ermöglichte nun diese eindrückliche Präsentation eines „ZusammenSpiels“ – der aussagekräftige Titel: ein Vorschlag Ottingers.

ZusammenSpiel. Tabea Blumenschein – Ulrike Ottinger, bis 31. Okt., Mi–Mo, 10:00–18:00, Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, Berlin-Kreuzberg

 

Die aktuelle Ausgabe der L-MAG  jetzt an jedem Bahnhofskiosk, im Abo, als e-Paper und bei Readly erhältlich.

Aktuelles Heft

Metamorphosen - queeres Leben und Sterben

Genderneutrale Erziehung - Elizabeth Kerekere, Aktivistin aus Neuseeland - Internationales FrauenFilmFestival - LGBTIQ* Community in Armenien mehr zum Inhalt




Deine online-Spende

 

Ganz einfach, und doch so wirkungsvoll:

Unterstütze uns, damit l-mag.de weiter aktuell bleibt!

Vielen Dank!
Dein L-MAG Online-Team

 

 


L-MAG.de finde ich gut!

Deine online-Spende

 

Ganz einfach, und doch so wirkungsvoll:

Unterstütze uns, damit l-mag.de weiter aktuell bleibt!

Vielen Dank!
Dein L-MAG Online-Team

 

 


L-MAG.de finde ich gut!
x