Lesbische Künstlerin nach Haft in Russland: „Sie sind zu schwach, um mich zu brechen“
Die lesbische Künstlerin Sasha Skochilenko saß wegen einer Protestaktion gegen den Ukrainekrieg seit 2022 im russischen Gefängnis. Im August kam sie überraschend frei und ist mit ihrer Partnerin in Berlin gelandet. L-MAG hat mit den beiden gesprochen.
Von Paula Lochte
8.9.2024 - Seit April 2022 saß die lesbische Künstlerin Sasha Skochilenko im Gefängnis in Sankt Petersburg. Erst in Untersuchungshaft, dann wurde sie zu sieben Jahren Straflager verurteilt, weil sie gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine protestiert hatte. Im Zuge eines Gefangenenaustauschs zwischen Russland und Deutschland sowie weiteren westlichen Staaten kam die 33-Jährige Anfang August überraschend frei (L-MAG berichtete). Sie wurde zunächst im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz behandelt und reiste dann mit ihrer Partnerin Sonya Subbotina nach Berlin. L-MAG hat mit Sasha und Sonya, die sich unermüdlich für die Freilassung eingesetzt hatte, gesprochen
L-MAG: Wie habt Ihr den Moment der Freilassung erlebt?
Sonya Subbotina: Plötzlich habe ich einen Anruf von Sasha bekommen. Sie hat gesagt: „Hallo! Ich bin ausgetauscht worden und jetzt frei.“ Sobald ich vom Gefangenenaustausch erfahren habe, wollte ich nur noch raus aus Russland, zu ihr. Innerhalb von drei Stunden habe ich einen riesigen Koffer gepackt und bin los, ohne mich von jemandem zu verabschieden. Beim Grenzübertritt war ich unruhig. Ich hatte Angst vor den Fragen der russischen Grenzpolizei, aber sie haben mich einfach durchgewunken. Niemand hat versucht, mich in Russland festzuhalten.
Sasha Skochilenko: Sonya hat gezittert, als wir uns in die Arme geschlossen haben. Ich war auch überwältigt. Es war, als würde ich in einen warmen Ozean aus Liebe tauchen. Gleichzeitig hat es sich angefühlt, als wäre unsere letzte Umarmung erst gestern gewesen. Als lägen nicht zweieinhalb Jahre Gefängnis dazwischen.
Wie war die Zeit im Gefängnis für Dich?
Sasha Skochilenko: Schwer zu beschreiben. Ich war in einem uralten Gefängnis in Sankt Petersburg. Jeder Tag bestand aus den immergleichen Routinen und Regeln: Aufstehen, Frühstück, untersucht werden, ins Bett gehen. Ein Beamter hat mich schikaniert. Es war traumatisch. Die Tage kamen mir endlos vor, und sind zugleich wie im Flug vergangen. Jeden Tag habe ich an Sonya, an meine Liebsten gedacht.
Im Gefängnis stand Deine Gesundheit auf dem Spiel, über hundert russische Ärzte forderten deshalb in einem offenen Brief an Wladimir Putin deine Freilassung. Wie geht es Dir heute?
Sasha Skochilenko: Ich musste damals meinen kritischen Gesundheitszustand öffentlich machen, um zu überleben. Jetzt gehören mein Körper, meine Gesundheit, meine Intimsphäre endlich wieder mir. Ich möchte deshalb nicht mehr öffentlich über meine Gesundheit sprechen. Damals hatte ich keine Wahl, jetzt schon.
Du wurdest für eine Protestaktion inhaftiert: In einem Supermarkt in Sankt Petersburg hast Du Preisschilder mit Informationen zum Angriffskrieg auf die Ukraine ausgetauscht. Hast Du diese Aktion je bereut?
Sasha Skochilenko: Ich würde es wieder tun. Es hat sich gelohnt, denn diese fünf kleinen Papierschnipsel haben zu einem großen Aufschrei geführt. Durch meinen Fall, das Urteil, all die Grausamkeit, die ich durchgemacht habe, haben so viele Leute meine Botschaft gehört! Meine Geschichte hat die Menschen berührt und ihnen klar gemacht, dass wir dringend Frieden brauchen. Ich habe es also nicht bereut. Ich glaube, ich werde es nie bereuen.
Sie haben dich in Haft nicht gebrochen ...
Sasha Skochilenko: Natürlich haben sie mich nicht gebrochen! Sie sind zu schwach, um mich zu brechen.
Was sind Eure Zukunftspläne, politisch, aber auch privat?
Sasha Skochilenko: Ich zeichne gerade sehr viel und versuche, das Erlebte zu verarbeiten. Der Gefangenenaustausch war ein Geschenk. Gleichzeitig hatte ich gemischte Gefühle: Angst, Wut, Freude, Glück. Ich möchte weiterhin Kunst machen und beginne bald eine „Artist Residency“ in einer deutschen Kleinstadt.
Sonya Subbotina: Ich möchte mich für Menschenrechte einsetzen. Wir würden gerne in Deutschland bleiben. Die Leute hier sind so nett! Wildfremde freuen sich, uns zu sehen, heißen uns willkommen, laden uns zu sich nach Hause ein oder wollen gemeinsam was auf die Beine stellen – weil sie von unserer Geschichte gehört und von Sashas Zeit im Gefängnis in den Medien gelesen haben.
Sasha Skochilenko: Während meiner zweieinhalb Jahre im Gefängnis habe ich genau solche netten Menschen vermisst!
Sonya Subbotina: Und wir wollen unbedingt heiraten.
Glückwunsch! Nun, da ihr schon mehrere Wochen gemeinsam in Freiheit verbringt, was genießt Ihr am meisten?
Sonya Subbotina: Einfach, dass Sasha frei und in Sicherheit ist. Mehr brauche ich nicht.
Sasha Skochilenko: Ich genieße es, Sonya zu berühren. Und im Gras zwischen Bäumen zu liegen und die Wolken zu beobachten – das fühlt sich himmlisch an! Vor meiner Verhaftung hätte ich nie gedacht, dass diese Dinge so wichtig sind. Deshalb hat mir die Haft in gewisser Weise einen Gefallen getan: Denn sie hat mir geholfen, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen.
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